Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Nach der Glos-Entlassung - Ein Käfig voller Narren. Leitartikel von Angela Gareis
Essen (ots)
Wenn Michael Glos an diesem Dienstag in die Freiheit entlassen wird, hat die Republik ein politisches Abenteuer erlitten, dessen Ausmaß womöglich nicht absehbar ist. Man muss sich kurz vergegenwärtigen, unter welchen Umständen der Kanzlerin inmitten der globalen Wirtschaftskrise ein Wirtschaftsminister abhanden gekommen ist. Vor staunenden Weltgästen der Münchener Sicherheitskonferenz trugen Horst Seehofer und Michael Glos ihren letzten Machtkampf aus. Angela Merkel war zur Zuschauerin degradiert.
Die Welt wird sich nicht lange mit dem Gedanken aufhalten, dass es in Deutschland zugehe wie in einem Käfig voller Narren. Die Union aber schon. Seit Monaten diskutiert die CDU über ihr Wirtschaftsprofil, wobei allenfalls deutlich wird, dass sie keins hat. Die Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und Christian Wulff streiten über Verstaatlichung und Eitelkeiten. Die einen Ministerpräsidenten fordern Steuerentlastungen als Wahlkampfthema, die anderen halten die Kosten angesichts der Neuverschuldung für nicht verantwortbar.
Die Kanzlerin spricht sich mal dagegen und mal dafür aus. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen, einst Merkels wichtigstes Anliegen, ist zur Marginalie verkommen, ebenso die Umweltpolitik. Die einzige Überzeugung, die Merkel offensiv vertritt, heißt: Mitte. Die will sie gewinnen, indem sie möglichst wenige Positionen vertritt. Lange folgte die CDU ihrer Kanzlerin. Spätestens mit der Wahl in Hessen hat sich das radikal verändert. Die Christdemokraten mussten lernen, dass es der FDP mit klaren Positionen gelingt, die Gunst der Wähler umzulenken.
Die Umfragewerte sinken. Die Partei streitet. Die Umfragewerte sinken. In diesem Teufelskreis bewegt sich die Union, obwohl der eigentlich für die SPD erfunden worden zu sein schien. Die Sozialdemokraten aber sind in erstaunlicher Weise zur Ruhe gekommen und geben die Bühne frei für das Schauspiel der Union. Dass CSU-Chef Seehofer allmählich Regie führt, sollte Merkel in zweierlei Hinsicht beunruhigen. Erstens nährt Seehofer den Eindruck, der Kanzlerin gebreche es an Führungskraft. Zweitens ist Seehofer ein basiserprobter Populist - sehr im Unterschied zu Merkel, die sich in einem kleinen getreuen Beraterzirkel verbarrikadiert zu haben scheint. Draußen hat sie niemanden mehr, der sie verteidigt, keinen Blitzableiter. Den Wahlkampf will Merkel mit ihrer Beliebtheit als Kanzlerin bestreiten. Die Frage ist, ob diese Strategie mit der schwindenden Beliebtheit der CDU-Vorsitzenden zu vereinbaren ist.
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