Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Schmidt, die SPD, der Wahlkampf - Steinmeiers Dilemma. Leitartikel von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Erst fehlt Glück, nun kommt auch noch Pech hinzu. Nicht Frank-Walter Steinmeier hat den Wahlkampf der SPD eröffnet, sondern Ulla Schmidt. Wobei nicht klar ist, was schwerer wiegt: die Ungeschicklichkeit der Rekordministerin, die nach acht Jahren im Amt wissen müsste, a) wie man mit Dienstwagen umgeht und b) dass fast alles, was schief geht, sowieso herauskommt, oder: das viel zu lange dröhnende Schweigen der SPD-Führung über die Genossin in Not. Tage vergingen, bevor der Generalsekretär erst gestern die Kraft fand zu einer sehr pflichtschuldig klingenden Halb-Rechtfertigung.
Die Probleme der SPD in diesem Wahlkampf zur Unzeit, in der das Lebensgefühl mäandert zwischen Urlaub und Schweinegrippe, wiegen schwerer als der Umgang Ulla Schmidts mit ihrem Panzerwagen. Zum einen: Die SPD hat noch nicht den richtigen Stil gefunden für den Spitzenkandidaten. Steinmeier soll mal so richtig draufhauen, am besten so wie Schröder früher, lautet eine der Erwartungshaltungen aus der Partei. Nur: Steinmeier ist nicht Schröder, er war vielmehr Schröders sinnvolle Ergänzung, also: in vielem dessen Gegenteil. Daran ändert auch nichts, dass Steinmeier sich im Radio so anhört wie sein früherer Chef.
Steinmeier wägt seine Worte mit Bedacht, sucht nach der Klugheit des Augenblicks, weniger nach einer Pointe fürs Publikum. Er ist kein Rummelboxer, und wer ihm diese Pose empfiehlt, den sollte er fragen: willst Du mir nutzen oder schaden? Manche halten dem Lipper vor, ihm fehle Charisma. Das ist ganz sicher unfair: Seit wann misst sich Charisma in Phon, der physikalischen Einheit für Lautstärke? Steinmeiers Charisma ist seine Solidität, die Berechenbarkeit, das Verlässliche. Genau deshalb ist er ein guter Außenminister, war ein guter Kanzleramtsminister und wäre wohl ein anständiger Kanzler. Niemand müsste sich montags Sorgen machen, dienstags in einem anderen Land aufzuwachen.
Guter Kanzler, mäßiger Kanzlerkandidat. So sieht es im Moment aus. Und dann sind da noch einige objektive Probleme, für die Steinmeier nichts kann: Wie soll er Merkel attackieren, mit der er, leidlich erfolgreich, regierte? Und wie die FDP verteufeln, ohne die er Kanzler kaum werden kann? Steinmeier steckt in einem kaum auflösbaren Dilemma: setzt er auf parteipolitisches Profil, schadet er seiner Glaubwürdigkeit. Setzt er auf Glaubwürdigkeit, verblasst sein Profil. Vielleicht sollte er einfach nur er selbst sein. Aber das müsste die SPD dann schon mittragen.
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