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WAZ: Die Briten haben Reformen gewählt - Ein Patt mit vielen Chancen. Kommentar von Jasmin Fischer
Essen (ots)
Es waren Szenen der Verzweiflung, die sich in der von 13 Regierungsjahren ausgelaugten Labour-Partei abspielten. An Elan und Ideen hat es den Sozialdemokraten gemangelt. Kaum ein Moment hat die Erschöpfung der Regierung so bloßgestellt, wie die Empfehlung von Labour-Ministern an Partei-Dissidenten, doch wenigstens die Liberaldemokraten zu wählen, um die Konservativen zu verhindern. Gordon Browns Schicksal hängt allein an der vagen Aussicht auf eine Zweckehe mit den Liberalen.
Und doch: Wirkliche Lust auf Wechsel zwischen den Parteilagern gibt es in Großbritannien nicht. So stehen 57 Prozent der konservativen Wähler nicht hinter dem Tory-Programm, sondern wollten Labour einen saftigen Denkzettel verpassen. Die Skepsis gegenüber den modernisierten Konservativen hat sich nie verflüchtigt. Zu groß waren in der Wirtschaftskrise die Bedenken, mit Parteichef David Cameron einen unsozialen Wolf im Schafspelz zu wählen. Mehr noch: Es gab im Grunde kein großes, konservatives Momentum. Gerade das hätten die Tories aber zur absoluten Mehrheit gebraucht.
Es war der Hunger nach fundamentaler Veränderung, der diese Wahl bestimmt hat. Nur so erklärt sich der kometenhafte Aufstieg des liberalen Außenseiters Nick Clegg, der mit dem Versprechen, das Wahlsystem fairer zu machen, für Furore sorgt. Dieses Drängen auf tiefgreifende Reform wird die neue Regierung - egal wie sie aussieht - nicht ignorieren können. Clegg mag bei dieser Wahl unerwartet schlecht abgeschnitten haben; mit dem Impuls, den er durchs Land schickt, sehen ihn viele indes als den eigentlichen Sieger. Die Briten mag die Angst vor der eigenen Courage dazu bewegt haben, für eine der zwei großen Parteien zu stimmen, doch die Sympathien bleiben Clegg gewogen. Viele hoffen, dass er als Juniorpartner einer Koalition sein Kernziel, ein faireres Wahlsystem für Großbritannien, durchsetzt.
Dass die Insel in diesen Tagen ihre Coolness verliert, sie glaubt, das Land würde mit dem Patt im Parlament ins Chaos stürzen, darf man ruhig "very british", also mit einer Prise Amüsement, betrachten. Es ist keine Zeit des Untergangs, sondern die der Chancen: Wenn der Rauch sich über der Mutter aller Parlamente verzieht, wird der Weg frei sein für Reformen in diesem altehrwürdigen, aber schlicht überforderten System.
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