Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Die Nummer Eins greift ein. Kommentar von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Hat unser Staatsoberhaupt nichts zu tun? Traut Joachim Gauck Angela Merkel und Sigmar Gabriel nicht über den Weg? Was hat er auf einmal mit der Linkspartei zu schaffen? Führt der Bundespräsident jetzt etwa die Koalitionsverhandlungen? Darf er das? Kein Bundeskanzler ohne Bundespräsident. Keine Neuwahl ohne Bundespräsident. Keine Minderheitsregierung ohne Bundespräsident. So steht es im Grundgesetz. Wer, wie Joachim Gauck, am Ende von Koalitionsverhandlungen womöglich eine schwierige Entscheidung treffen muss, tut gut daran, sich vorher mit den Motiven der Beteiligten auseinanderzusetzen. Gaucks Premiere hat auch eine sehr persönliche Note. Wohl keiner seiner Vorgänger hatte überparteilich ein derartiges Ansehen wie dieser Mann, der einmal von der SPD zum Staatsoberhaupt vorgeschlagen wurde, dann wieder von der FDP. Nun wissen wir nicht, was genau er gestern mit Merkel besprochen hat. Die interessanteste Frage an die amtierende Bundeskanzlerin wäre gewesen: Streben Sie eigentlich insgeheim Neuwahlen an, weil Sie dann vielleicht noch stärker werden mit Ihrer Union und weil die FDP, inzwischen geführt von Christian Lindner, auch wieder hereinkommt, so dass es für Schwarz-Gelb reicht? Würden Sie mit der AfD koalieren? Und was antwortet Horst Seehofer, wenn Gauck den bayerischen Ministerpräsidenten fragt, was diesem wichtiger ist: Der Verzicht auf höhere Steuern für Deutschland oder mehr Geld für Bayern? Und was Gabriel, wenn Gauck wissen will, weshalb die SPD in ihren Forderungen den Sieger spielt, obwohl sie doch verloren hat? An diesen Beispielen zeigt sich, weshalb Gaucks Vorstoß problematisch ist. Eine Rolle, wie er sie jetzt augenscheinlich anstrebt, sieht die Verfassung nicht vor. Darin steckt die unorthodoxe Chance, sich einfach mal in schwieriger Situation als Moderator zu versuchen. Darin steckt aber auch das orthodoxe Risiko, dass seine Gesprächspartner ihn freundlich diplomatisch abprallen lassen werden. Stärker wird auch ein Bundespräsident davon nicht.
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