Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Spekulationen über Koalitionen: Das Geschwätz von gestern - Leitartikel von Hendrik Groth
Essen (ots)
Sollten die jüngsten Umfragen das Wahlergebnis vom 18. September widerspiegeln, dann werden am kommenden Sonntag gegen 18.30 Uhr mehrere Spitzenpolitiker ihren ganz persönlichen Konrad Adenauer herausholen. Getreu dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern werden sie über Konstellationen sinnieren, die sie in der Endphase des Wahlkampfes zwar strikt abgelehnt hatten, aber mit denen sie sich in Zeiten verschiedener Optionen auf die Regierungsbildung einen Platz am künftigen Kabinettstisch sichern könnten. Ob Emnid für die gesamte Bundesrepublik oder der WDR für NRW, Schwarz-Gelb verfehlt bei beiden Prognosen die absolute Mehrheit. Die SPD legt auf Kosten der CDU zu. Dramatisch könnte es deshalb für Guido Westerwelle werden. Derzeit lehnt die FDP sogar in ihrem Wahlaufruf eine Ampelkoalition, die Niedersachsens Ex- Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) ins Spiel bringt, strikt ab. Sollte es Westerwelle aber nicht schaffen, seine Partei in die Regierung zu bringen, dann dürfte es mit der politischen Karriere des Rheinländers bald vorbei sein. Wenn es für eine Koalition mit der CDU nicht reicht, dann wird sich der Machtwille in der FDP Bahn brechen. Für die Sozialdemokraten hätte die Ampel auch einen Vorteil. Gerhard Schröder könnte Kanzler bleiben. Da hier die Rechnung ohne die Grünen gemacht wird, scheint eine große Koalition wahrscheinlicher. So ein Bündnis klingt vordergründig nach Bündelung der Kräfte. Männer wie Steinbrück, Schily und Struck könnten problemlos mit den Christdemokraten zusammenarbeiten. Die Frage lautet aber, wie könnte sich eine solche Koalition auf eine SPD-Fraktion verlassen, die für Schröder Grund war, die Vertrauensfrage zu stellen? Und wie verhält sich diese Fraktion, wenn weitere notwendige Reformen formuliert und durchgesetzt werden müssen, wo doch die Konzepte von CDU und SPD deutlich auseinanderliegen? Ob Regierung oder Opposition, die SPD steht vor weiteren schweren Zeiten. Doch auch für Angela Merkel kann es eng werden. Sollte die CDU nicht klar stärkste Partei werden, wird ihr Thron wackeln. Dass sie in dieser Lage eine Woche vor der Wahl auf einmal ihren bislang kaltgestellten Intimfeind Friedrich Merz lobt, spricht für Verunsicherung.
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