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WAZ: KOMMENTAR von Ulrich Reitz: Kanzlerwahl

Essen (ots)

Man weiß nicht, ob diejenigen aus der Union, die nun
die SPD ermahnen, morgen auch ja Merkel zur Kanzlerin zu wählen,
Freunde oder Feinde von ihr sind. „Wenn es Neinstimmen und
Enthaltungen in nennenswertem Umfang bei der SPD geben sollte, ist
Vertrauen beschädigt”, sagt etwa Christoph Böhr, der demnächst in
Rheinland- Pfalz zum Regierungschef gewählt werden will. Selbstredend
ist es bizarr, erst einen Koalitionsvertrag abzuschließen und hernach
jene, die diesen repräsentiert, nicht wählen zu wollen. Andererseits
bietet gerade eine Kanzlerwahl eine Gelegenheit, Selbstvertrauen und
Eigenständigkeit zu demonstrieren. In der SPD sind diese Reflexe
besonders leicht zu mobilisieren. Merkel wird also Gegenstimmen
bekommen, vielleicht sogar viele. Aber, genau besehen: was heißt das
schon? Eine große Koalition ist keine Schönheits-, sondern eine
Notoperation. Kalkül zählt mehr als Vertrauen. Als Kiesinger sich
1966 zum Regierungschef der ersten großen Koalition wählen ließ,
versagten ihm 60 Sozialdemokraten ihre Stimme. Und hinterher wurde
dennoch stabil regiert.

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