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WAZ: Kommentar von Hendrik Groth: Mehr Gelassenheit wagen

Essen (ots)

In Zeiten des Kalten Krieges hätte niemand zu
glauben gewagt, dass Polen heute EU- und Nato-Mitglied ist, also eng
verwoben mit einer demokratischen Wertestruktur. Wie sich in den
vergangenen 15 Jahren Europa zum Guten verändert hat, ist
atemberaubend. Auch das deutsch- polnische Verhältnis hat sich dabei
deutlich verbessert. Zuversicht könnte deshalb die Devise für die
Zukunft lauten. Doch wie in vielen Dingen ist purer Optimismus eher
ein Zeichen fehlender Informationen.
Kurz nach ihrem Amtsantritt zeigt Kanzlerin Merkel, dass ihr der
östliche Nachbar außerordentlich wichtig ist. Doch der Besuch in
Warschau ist eine Gratwanderung, da eine Vielzahl konträrer
Auffassungen auf völlig unterschiedlichen Wahrnehmungen fußen.
Beispiele?
Während in Deutschland die Vertriebenenfunktionärin Erika
Steinbach fast unbekannt ist, glauben viele Polen, dass die im Krieg
geborene Tochter eines Besatzungssoldaten über eine ungeheure
Machtfülle in der deutschen Politik verfügt. Aus diesem Grund löst
das von Steinbach geforderte Zentrum gegen Vertreibungen in Polen
Sorge und Empörung aus. Die Angst vor Geschichtsklitterung ist
allgegenwärtig. Deshalb sollte Merkel wie die Vorgängerregierung von
diesem Ansinnen deutlich Abstand nehmen. Gegen die SPD ist ein
solches Zentrum ohnehin nicht durchsetzbar und der Geschichte gerecht
werdende Lösungen im europäischen Kontext gibt es.
Auch ist Merkel mit der Ostseepipeline konfrontiert, die die
Privatindustrie unter der Patronage von Ex-Kanzler Schröder und dem
russischen Präsidenten Putin beschlossen hat. Die baltischen Staaten
und Polen fühlen sich übergangen, da sie nicht in die Planungen
eingebunden waren. Traditionell und aus den negativen Erfahrungen
geboren sind deutsch-russische Vereinbarungen für Warschau heiße
Eisen.
Doch auch die Polen müssen umdenken. Verabredungen etwa zwischen
Paris und Berlin sind keine potenziellen Geheimabsprachen zu Lasten
Warschaus. Polen muss noch die Mechanismen des europäischen
Einigungsprozesses lernen. Dass der Präsident und auch die Regierung
dank nationalistischer und antideutscher Parolen gewählt wurden,
stellt ein Ärgernis dar. Gelassenheit sollte ein guter Ratgeber sein,
wenn es für beide Seiten darum geht, dauerhaft ein unverkrampftes
Verhältnis aufzubauen.

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