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WAZ: Die nächste Gesundheitsreform: Koalition kann nur Löcher stopfen - Kommentar von Stefan Schulte

Essen (ots)

Es soll Alleinverdiener mit folgender Macke geben:
Ihre Freude über das schöne, teure Geburtstagsgeschenk lässt nach,
sobald ihnen dämmert, dass der Partner es ja von ihrem Gehalt bezahlt
hat. Viel zu teuer, hätte ich mir selbst nie gekauft, denken sie
zumindest. Das kann man verständlich oder gefühllos finden – grotesk
ist es allemal.
Unser Gesundheitssystem kennt diese Macke nur zu gut. Das Geschenk
ist der medizinische Fortschritt: Hier ein Durchbruch in der
Krebsforschung, dort eine schonende Lasertherapie – Fortschritt gibt
Hoffnung und erhöht die Lebensqualität. Für die Ernüchterung sorgt
die Gesundheitspolitik: Praxisgebühr, Zuzahlung für Medikamente –
Reformen stehen für Abzocke, weniger Geld und damit weniger
Lebensqualität. Der Segen des Fortschritts ist der Fluch der
Solidarkasse. Dieses Dilemma kann niemand auflösen, nicht einmal eine
große Koalition.
Weil die Gesundheitskosten auch künftig steigen werden, muss
abermals mehr Geld ins System. Die Frage ist nur, von wem? Die letzte
Reform traf fast ausschließlich die Patienten. Der SPD sind die
Erklärungsnöte an der Basis sehr präsent, weshalb sie nun ganz auf
Umverteilung setzt. Wer mehr hat, soll mehr zahlen. Ein Auge wirft
sie auf Miet- und Zinseinkünfte, auf die Beiträge fällig werden
sollen. Mit dem anderen hat sie die Privatkassen im Blick. Jene zehn
Prozent der Bevölkerung, die sich dem Solidarsystem entziehen, sollen
sich freikaufen. Die Privaten sollen den Gesetzlichen einen Ausgleich
dafür zahlen, dass sie sich die Gesunden und Reichen herauspicken.
Die Union argumentiert eher aus Sicht der Wirtschaft. Höhere
Gesundheitskosten sollen nicht mehr höhere Lohnkosten verursachen,
weil das Jobs gefährdet. Also will sie entweder die
Arbeitgeberbeiträge einfrieren oder eine Minipauschale durchsetzen.
Von den großen Reformen namens Bürgerversicherung und
Kopfpauschale ist keine Rede mehr. Darüber muss niemand traurig sein.
Denn die Kernziele, die von beiden Visionen im großkoalitionären
Zwang zum Pragmatismus übrig blieben, sind keineswegs unvereinbar.
Ein bisschen Umverteilung à la SPD würde ein bisschen
Arbeitgeberschonung à la Union erträglich machen. Ein Kompromiss in
dieser Art wäre nicht das Schlechteste.
Doch auch diese Gesundheitsreform kann nicht mehr als Löcher
stopfen. Deshalb lohnt es sich, nicht nur mehr Geld zu organisieren,
sondern es auch beisammen zu halten. Noch immer wirft die
Pharmaindustrie Jahr für Jahr unzählige neue Mittel auf den Markt,
die mangels Fortschritt ihren Preis nicht wert sind. In
Großbritannien werden solche Mittel gar nicht erst zugelassen. Dort
müssen Pharma-Unternehmen beweisen, dass der Nutzen einer Arznei ihre
Kosten rechtfertigt. Wer anderes als eine große Koalition sollte in
der Lage sein, dies auch in Deutschland durchzusetzen?

Rückfragen bitte an:

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