Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Sicherheit als Motor der Reformen - Kommentar von Lutz Heuken
Essen (ots)
Da kann jemand Ministerpräsident sein und Vize einer großen Volkspartei - und doch darunter leiden, dass man ihn in der Öffentlichkeit so wenig wahrnimmt. Lange Zeit mochte man sich Jürgen Rüttgers eher als netten Nachbarn vorstellen denn als Polit-Macher oder gar als Visionär.
Dann, in diesem Sommer, ließ ein Rüttgers-Interview die politische Klasse aufhorchen. Er forderte seine Partei auf, sich endlich von einigen "Lebenslügen" zu verabschieden. Als da seien: in Deutschland seien die Löhne zu hoch; Steuersenkungen führten zu mehr Investitionen.
Das war ein Angriff auf die Neoliberalen in der Union, die nach Rüttgers Meinung den Sieg bei der Bundeswahl verspielt hatten. "Wir haben zuviel über Flat Tax und zuwenig über die Menschen geredet", attackierte dieser indirekt auch die Kanzlerin, die sich mit dem Leipziger Parteitag als Wirtschaftsliberale profiliert hatte. Plötzlich war Rüttgers gefragt, vor den Mikrofonen, in Talk-Shows und Zeitungsinterviews - das provozierende Wort "Lebenslügen" hatte gezündet. Er bekam - neben scharfer Kritik von Wirtschaftsliberalen - auch viel Zuspruch für seine Thesen.
Jetzt legte er nach, fordert eine "Politik der neuen Sicherheit" für die Bürger, denn: "Kreativität braucht Sicherheit". Und wieder werden sich die Neoliberalen provoziert fühlen, die von "sozialer Hängematte" reden, die ständige Mobilitätsbereitschaft fordern, die Tarifverträge für Ballast halten und Sozialpolitik für lähmend; kurz: die sich gegen Sicherheit wenden, weil sie sie für lähmend halten. All denen hält Rüttgers seine Gegenthese vor: Nur wenn die Menschen die Gewissheit hätten, dass am Ende der Reformen das Leben wieder sicherer sei, seien sie auch zu Reformen bereit; seien bereit, Risiken zu tragen und sich auf Veränderungen einzustellen.
Zweifellos ist Rüttgers mit seinen Thesen viel näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen als die Neoliberalen. Wer in Deutschland die notwendigen Reformen weitertreiben will, kann das nur mit den Menschen, kann das nur, wenn die "breite Masse" sich ohne Furcht und kreativ einschaltet, wenn die Menschen nicht in Angststarre verfallen und sich frustriert aus dem gesellschaftlichen Prozess ausklinken.
Jürgen Rüttgers scheint seine Rolle gefunden zu haben. Er setzt soziale Akzente. Die große Volkspartei CDU braucht solche Leute. Wieviel Profilierungswunsch und Eitelkeit zu Rüttgers' Motiven zählen, ist daher eher zweitrangig.
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