Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Zur Privatisierung von Friedrich M.: Der Absturz eines Überfliegers - Leitartikel von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Alles lief zuletzt gegen Friedrich Merz. Deshalb musste er gehen, schon aus Selbstschutz. Man wird noch lange diskutieren, ob Merz an anderen scheiterte oder an sich selbst. Weshalb geht diese in Höhen wie Tiefen beispiellose Karriere zu Ende?
Der Faktor Persönlichkeit. Merz, das heißt: ganz oder gar nicht. Darum zollen viele Menschen ihm Respekt, auch wenn sie politisch anders denken: Hier steht einer, der sich nicht verbiegt, sagt, was er denkt, ungeschminkt, couragiert; aber eben auch: eitel, selbstverliebt, nach Wahrnehmung seiner Gegner streckenweise größenwahnsinnig. Jemand, der sich permanent anderen überlegen fühlt (oft zu Recht, wie beispielsweise Oskar Lafontaine in einem legendären TV-Zweikampf erfahren musste), entzieht sich jeglichem Konsens schon aus Prinzip. Merz, der sich trotzig selbst entmachtete oder dem die Macht durchaus intrigant (Stoiber hat er nie verziehen, dass der ihn beim Kampf um den Fraktions-Vorsitz fallen ließ) entwunden wurde, wollte sich nie einordnen. Mannschaftsspieler war er nur als Kapitän.
Der Faktor Macht. Merz kann nichts mehr werden. Die CDU ist nicht mehr liberal, sondern sozial wie gesellschaftspolitisch eher Mitte-links. Mit einem wirtschaftsliberalen Programm wird sie in den nächsten zehn Jahren nicht mehr antreten. Merz ist ein glänzender Redner, der zur Randfigur wurde in der Union. Dies gilt erst recht in der Großen Koalition, die den Linksruck der Union noch um gesellschaftspolitische Elemente anreichert: von der Leyens Abkehr vom traditionellen Familienbild, Rüttgers Großstadt-CDU, die wählbar sein soll für Homosexuelle, allein Erziehende, eine neu-grüne Loft-Boheme. Ein Konservativer hält derlei für billig; anbiedernde Zeitgeist-Surferei halt.
Der Faktor Merkel: Merz hält die Frau für inkompetent, überschätzt, Ossi-Tussi-Seiteneinsteiger-Fremdkörper, fehl am Platz, kurz: für einen Irrtum der Geschichte. Intellektuell eher schlicht, eine permanente Verletzung seines Gerechtigkeitsgefühls also. In der Person Merkels verdichtet sich alles, was Merz nicht sein will: der Opportunismus des Regierenden, wenn er es auch weiter bleiben will, der hemmungslose Kurswechsel, die Intrige. Merkel und Merz führen vor, was passiert, wenn Alpha-Tiere ohne Airbag aufeinanderprallen.
Politik lebt von Typen. Merz Privatisierung entlässt den konservativen Unions-Flügel in die Heimatlosigkeit. Und sie macht Politik insgesamt ärmer. Es ist tragisch, weil es so kommen musste.
Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de
Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell