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WAZ: Was das Cicero-Urteil bedeutet: Ein Spruch für die Aufklärung - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Gammelfleisch-Händler decken keine
Gammelfleisch-Skandale auf. Weder Unternehmen noch Gewerkschaften 
decken, siehe VW, Korruptionsaffären auf. Parteien decken keine 
Parteispenden-Betrügereien auf. Behörden decken keine 
Behörden-Schlampereien auf. Und so weiter. Oft genug versagen 
staatliche oder wirtschaftliche oder gesellschaftliche 
Kontroll-Organe. Glaubt man etwa den Korruptions-Berichten von 
Anti-Korruptionsorganisationen, dann wird nicht zu viel aufgeklärt, 
sondern bei weitem zuwenig. Auch, ja selbst in Deutschland.
Journalisten, in diesem Sinn durchaus Vierte Gewalt, decken auf. 
Sie bewegen sich dabei ständig in einer Grauzone, mal moralisch, mal 
rechtlich, mal beides. Sie sind bisweilen in der Wahl ihrer Mittel 
nicht zimperlich. Mal reicht es zu drohen, mal zu schmeicheln, um an 
Informationen zu kommen. Mal werden Informationen von Journalisten 
bezahlt. In jedem Fall wird bei Enthüllungen die zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen, und dann 
liegt es in der Verantwortung beider Seiten, abzuwägen zwischen dem 
Arbeitgeber-Interesse und dem einer möglicherweise geschädigten 
Öffentlichkeit. Das ist oft sehr schwierig, und Fehler passieren 
auch. Aber ohne diese Grenzüberschreitungen, die Informanten und 
Journalisten begehen, wäre wohl nicht eine einzige der großen Affären
der vergangenen Jahre aufgedeckt worden.
Zuletzt, besonders nach dem 11. September 2001, hat sich auch in 
Deutschland die Balance verschoben zwischen Aufklärungsinteresse und 
dem Wunsch nach Sicherheit. Im Zweifel für die innere Sicherheit, 
gegen die Pressefreiheit. So urteilten oft genug Ermittlungsbehörden,
wenn aus ihren Reihen vertrauliche Informationen nach draußen 
lanciert wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat das aus der Waage 
geratene Gleichgewicht nun wieder hergestellt. Wer auf der Suche nach
Informanten Redaktionsräume durchsuchen lässt, verstößt gegen die 
Verfassung.
Das stärkt die Informanten, ohne die das Aufdecken von 
Missständen nicht möglich wäre. Es stärkt Journalisten den Rücken, 
die nun mit weniger Furcht vor behördlicher Schikane arbeiten können.
Überhaupt ist es ein Richterspruch gegen die Einschüchterung durch 
Staatsbeamte, letztlich auch einer gegen eine durchaus 
obrigkeits-staatliche Mentalität, die im Namen des Staates 
informationsfreie Räume für sich in Anspruch nimmt. Die Freiheit für 
Journalisten nimmt zu, und mit ihr die Verpflichtung, damit 
sorgfältig umzugehen.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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