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WAZ: Zur Debatte um Klars Freilassung Gnade für die Gnadenlosen? - Leitartikel von Christopher Onkelbach

Essen (ots)

Bundespräsident Horst Köhler steht vor einer
schweren Entscheidung. Soll er einen verurteilten Mörder und 
Terroristen begnadigen, oder soll Christian Klar seine Strafe bis zum
Ende verbüßen? Klar verdiene keine Gnade, sagen nicht nur Angehörige 
der RAF-Opfer. Der Terrorist bekennt sich nicht zu dem Staate, von 
dem er Gnade erwartet. Er hilft den Ermittlern nicht bei der 
Aufklärung noch ungeklärter Morde, und er zeigt für seine Verbrechen 
keine Reue. So lauten die Argumente.
Muss er das? Ist Reue die Bedingung für Gnade? Muss ein 
Verbrecher erst um Vergebung bitten, damit ihm Gnade gewährt werden 
kann? In der theologischen Tradition ist es genau umgekehrt: Gnade 
ist immer unverdient. Sie kann nicht an Bedingungen geknüpft werden, 
denn dann wäre es kein Akt der Gnade mehr, sondern ein Geschäft: Ich 
bezahle mit Reue, du gibst mir dafür Gnade. Einsicht, Reue und Umkehr
können demnach nicht die Voraussetzung für Vergebung sein, sondern 
sind ihre Folgen. Der unverdienten Gnade folgt die Einsicht. Damit 
setzt Gnade die Gnadenlosigkeit ins Unrecht. Und dies ist die hohe 
moralische Qualität der Vergebung.
Gnade ist ein Mittel der Friedens- und der Machtsicherung. Bei 
Hofe genossen die Untergebenen die Gnade des Herrschers oder fielen 
willkürlich in Ungnade. Gnade setzt also ein Machtgefälle voraus. 
Doch auch fast alle demokratischen Verfassungen kennen die 
Begnadigung, meist als Kompetenz des Staatsoberhauptes. Das Recht 
lässt sich im besten Sinne herab zu dem Ungerechten, reicht ihm die 
Hand, um den rechtmäßig Verurteilten wieder aufzunehmen in die 
Gemeinschaft. Gnade zielt also auch darauf ab, eine zerbrochene 
Gemeinschaft wieder zu heilen, womit sich diese auch selbst einen 
Dienst erweist. Der Unterschied zur göttlichen Gnade ist: 
Bundespräsident Köhler kann nach Aktenlage, Einsicht und Klugheit 
entscheiden.
Gnade ist also aus ethischer Perspektive voraussetzungslos, sie 
ist zuvorkommend, sie ermöglicht Reue und somit Versöhnung. Auch 
Köhler ist nicht verpflichtet, auf ein Reuezeichen Klars zu warten. 
Denn Gnade ist kein Geschäft von Geben und Nehmen. Dies aber sind 
alles keine Gründe für eine konkrete Begnadigung des Ex-Terroristen 
Klar. Die Debatte aber gibt Anlass daran zu erinnern, dass Gnade ein 
hohes und schützenswertes Gut unserer Demokratie ist und ein 
besonderes Zeichen ihrer Stärke.
Gnade für die Gnadenlosen? Der Bundespräsident kann, er muss sie 
nicht gewähren. Für beides gibt es gute Gründe.

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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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