Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Zu viele Kinder sind arm und dick: Klagen reicht nicht mehr - Leitartikel von Birgitta Stauber-Klein
Essen (ots)
Wer zu wenig Geld hat, überlebt zwar irgendwie, ist aber oft genug nicht mehr ein Teil dieser Gesellschaft; vor allem, wenn die Armut von Generation zu Generation weiter getragen wird. Die Folge: Die Wahrnehmung für die eigenen Bedürfnisse, schlimmer noch, die Wahrnehmung für die Bedürfnisse der Kinder sinkt viel zu oft auf ein dramatisch niedriges Niveau.
Wer ausgegrenzt ist, stumpft ab. Wer abgestumpft ist, der ist nicht mehr zugänglich, dem fehlen Perspektiven - für sich und seine Kinder. Viele Eltern aus dem Milieu der seit langem arbeitslosen Menschen können Fürsorge und damit Erziehung, Bildung, auch Ernährung nicht mehr leisten.
Diese - mit dem schrecklichen Wort "Prekariat" umschriebene - Schicht braucht Hilfe. Die gute Nachricht ist: Nicht nur die Politik, breite Teile der Gesellschaft haben erkannt, dass der Staat eingreifen muss, damit die "prekäre" Lage armer Menschen nicht von Generation zu Generation weiter getragen wird; nicht unbedingt aus purer Menschenliebe, wohl eher, weil das Land, in dem immer weniger Kinder geboren werden, gesunde, motivierte, gut ausgebildete junge Leute braucht, um den relativen Wohlstand der Gesellschaft mittel- und langfristig zu sichern.
Wenn Erzieherinnen und Lehrer seit diesem Frühjahr gezielt die Sprachentwicklung von Vierjährigen beobachten, dann ist dieser - durchaus staatliche - Eingriff für manche Kinder eine Chance, dem drohenden Misserfolg schon zu Beginn der Schullaufbahn zu entkommen.
Wenn Kinderkrippen Babys und Kleinkinder aus Isolation und Vernachlässigung herausholen und obendrein ein ordentliches Mittagessen bieten, dann ist ihr Ausbau ein Gewinn. Das streiten übrigens selbst die Verfechter eines konservativen Familienbildes, die den allein verdienenden Vater und die vollzeit sorgende Mutter idealisieren, nicht mehr ab.
Wenn in NRW-Städten ein Ganztagsprogramm an Grundschulen zum Teil bereits eher die Regel als die Ausnahme ist, dann haben auch arme Kinder die Gelegenheit, Sport zu treiben, Musik zu machen, Gemeinschaft zu erleben.
Bei allem Klagen über die "prekäre" Lage vieler Menschen: Der Anfang, wenigstens ihren Nachkommen eine Chance zu bieten, ist in NRW gemacht. Das Ziel freilich muss sein, Erziehung und Bildung weit oben in der Hierarchie der staatlichen Aufgaben anzusiedeln - mit allen Konsequenzen.
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