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WAZ: Abgekühlt: Verhältnis EU-Russland Leisetreterei - nein danke - Leitartikel von Gerd Niewerth
Essen (ots)
Wenn es um das angespannte Verhältnis zwischen dem Westen und Russland geht, dann erleben die meisten in diesen Tagen ein De´jà-vu. Kein Wunder, dass die griffige Formel vom neuen Kalten Krieg wieder trefflich zu passen scheint. Wenn Putin wegen des umstrittenen US-Raketenabwehrschirms in München demonstrativ auf den Tisch schlägt und als Vergeltung den KSE-Abrüstungsvertrag einfriert, dann sehen wir im russischen Präsidenten wieder den roten Zaren à la Breschnew vor uns.
Doch von einem Rückfall in die Eiszeit kann keine Rede sein. Ein anderes Bild trifft die Krise besser: Man steckt in der Sackgasse. Schon vor Beginn des EU-Russland-Gipfels an diesem Freitag in Samara steht wohl fest, dass in den wichtigsten Streitfragen keinerlei Einigung möglich ist. Um das Verhältnis mit seinem wichtigen Nachbarn Russland auf ein verlässliches Fundament zu stellen, strebt die EU ein neues Partnerschaftsabkommens an. Doch nicht mal an einen Beginn der Verhandlungen ist zu denken.
Gründe für die Krise gibt es genug. Solange Russland auf den Importstopp von polnischem Fleisch beharrt, blockiert Warschau den Beginn von Verhandlungen mit Russland. Weitere "Baustellen" sind die Ausschreitungen in Tallinn wegen der Verlegung des sowjetischen Kriegerdenkmals und die Blockade der estnischen Botschaft in Moskau. Bei allem Verständnis für Moskaus Ärger über den seltsamen Alleingang Washingtons in Sachen Raketenabwehr: Die Installation von zehn Abfangraketen zum Anlass für ein neuen Rüstungswettlauf zu nehmen, ist abenteuerlich.
Was treibt Putin also an? Es ist das innige Streben, Russland nach dem verlorenen Jahrzehnt unter Jelzin wieder einen Platz an der Sonne zu verschaffen. Da Washington zur Hypermacht, zum neuen Rom aufgestiegen ist, träumt Putin umso mehr von Russlands "Weltmacht-Renaissance". Der Kreml-Chef weiß: Ohne Russland geht im Kosovo-Streit nichts. Lösungen in der Nahost-Krise und in Iran? Nur mit Russland.
Es ist der unermessliche Energiereichtum, der Russland erstarken lässt. Europa ist von Russlands Öl und Gas abhängig. Russland - das ist die Tankstelle der EU. Putin setzt seine Schätze als politische Waffe ein. Deshalb ist es ein gravierender Fehler, wenn sich der europäische Klub vom Kreml-Chef fortwährend spalten lässt.
Mit Leisetreterei und übertriebener Rücksichtnahme kommt die EU nicht weiter, sondern eher indem man Tacheles redet. Zum Beispiel in Samara.
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