Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Der G-8-Gipfel von Heiligendamm: Die Ohnmacht der Mächtigen - Leitartikel von Angela Gareis
Essen (ots)
Der erste Weltwirtschaftsgipfel ereignete sich in einem Wohnzimmer. Valery Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt luden 1975 zu einem fast privaten Treffen ein. Man war zu sechst im Schloss Rambouillet mit den Gästen aus den USA, Großbritannien, Italien und Japan, man sprach über Ölkrise und Währungsschwankungen. Man fasste fern von der Öffentlichkeit nur einen Beschluss: Wir reden weiter.
Das Wohnzimmergespräch hat sich zum G-8-Gipfel und zum Weltereignis entwickelt, und genau das ist das Problem des G-8-Gipfels. Weil die Welt zuschaut, verkehrt sich der Sinn der Gespräche ins Gegenteil. Statt Meinungen zu tauschen und Vertrauen aufzubauen, belauern die Regierungschefs einander, denn irgendwie müssen für die Öffentlichkeit Beschlüsse angefertigt werden, die irgendwie die widerstrebenden Positionen zum Klimaschutz berücksichtigen und trotzdem irgendwie nach Fortschritt aussehen, wobei niemand zu irgendetwas verpflichtet werden kann. Misslingt das diplomatische Abenteuer, gilt der Gipfel als gescheitert. Die Welt schaut zu.
Im Grunde sieht die Welt in Heiligendamm die Ohnmacht der Mächtigen, die sich hinter dem Zaun im Hotel verstecken. Die vier Europäer bringen vom letzten EU-Gipfel ehrgeizige Ziele für den Klimaschutz mit, aber sie befinden sich in der Minderheit. Die USA und Kanada halten das Klima für eine nationale Angelegenheit, in die sich niemand einzumischen habe. Japan wird den nächsten G-8-Gipfel ausrichten und möchte womöglich ein paar Erfolge für sich übrig behalten. Russland wartet ab. Die Schwellenländer China, Indien, Brasilien, Südafrika und Mexiko dürfen erstmals mitreden und finden, dass die G-8-Länder die Umwelt verschmutzt haben.
Auf der anderen Seite des Zauns filmen die Kameras die Macht der Ohnmächtigen. Das vermeintliche Weltereignis bietet den Demonstranten eine Plattform, um ihren Protest in fast jeden Weltwinkel zu senden. Für ein paar Tage bilden die unterschiedlichen Gruppierungen, wenn man Chaoten einmal ausblendet, eine gewaltige Gemeinschaft gegen die "neoliberale Globalisierung".
Unter diesem Druck verhandeln die Menschen im Hotel die moralische Frage des Klimaschutzes gegen die wirtschaftliche und das Weltinteresse gegen das Einzelinteresse, sich nicht mit großen Zugeständnissen zu blamieren. Und weil der Druck derart groß ist, gerät sogar das eigentliche Ziel des Gipfels in Gefahr: Wir reden weiter. Bei der Weltklimakonferenz im Dezember auf Bali.
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