Westfalenpost: Fingerzeige Wahlen: Karlsruhe macht den Weg frei
Hagen (ots)
Von Jörg Bartmann
Das Urteil war von der Mehrheit gewünscht, längst eingeplant. Gerhard Schröder hat die höchstrichterliche Bestätigung dafür, ohne Rückhalt in den eigenen Reihen für seine Reformpolitik zu stehen. Der Zweite Senat lieferte dem "Kanzler ohne Vertrauen" einen weiten Spielraum für die Einschätzung, ob die parlamentarische Mehrheit für seine Politik noch gewährleistet ist. Oder anders: Die Richter konnten keinen zweckwidrigen Gebrauch der Vertrauensfrage feststellen. Natürlich ist die politische Vorgabe juristisch nur eingeschränkt prüfbar. Gleichzeitig ist auch klar, dass der Status der Abgeordneten minimiert wurde. Deshalb aber gleich von einer Kanzlerdemokratie zu sprechen, scheint zu weit hergeholt. Der Zweite Senat hat doch letztlich bestätigt, dass die demokratischen Institutionen funktionieren und Bundestag, Bundeskanzler und Bundespräsident nicht leichtfertig gehandelt haben. Horst Köhlers Demokratieverständnis war ausschlaggebend für sein plausibles Votum: Der Ernst der Lage erfordert stabile Mehrheiten. Dennoch. Das Urteil entbehrt nicht einiger Fingerzeige, die darauf hinweisen, sich künftig eindeutig verfassungskonform zu verhalten. Mit verfehlten Rechtsbedingungen zielt die Richterschelte auf eine Grundgesetzänderung, damit dem Kanzler nicht eine Parlamentsauflösung auf bloßes Misstrauen hin möglich gemacht wird. Natürlich haben wir keine Weimarer Verhältnisse, aber um das hohe Gut Grundgesetz zu ändern, bedarf es grundsätzlicher Überlegungen. Da ist solide Politik gefordert, die eine saubere Lösung herbeiführen muss. Doch zunächst stehen Neuwahlen an. Karlsruhe war gestern, hier und heute müssen sich die Parteien öffnen, um die große Ratlosigkeit zu übertünchen. Während der Kanzler, bestens gelaunt trotz trüber Bilanzen, um den bisherigen Status wieder kämpft, ist die Wechselstimmung alles andere als leidenschaftlich. Der wirtschaftliche Zustand, die hohe Arbeitslosigkeit sind Hauptursache für das Tief der Sozialdemokraten. Mit bescheidenen Erwartungen hat das Wahlvolk sich der Opposition zugewandt, die sich bemüht positive Ansätze schnell wieder zu zerreden. Etwas weniger Zögerlichkeit, etwas mehr Konturenschärfe wäre für die Wähler hilfreich. Statt dessen haben sich die Parteien Symbolik auf die Fahne geschrieben. Es wird gerechnet, um sozial zu erscheinen, ohne Geld auszugeben. Das hat mit den angekündigten Richtungsentscheidungen wenig zu tun. Dazu passt, dass der heiße Wahlkampf bislang ohne Fieberausbruch geblieben ist. Aufbruch? Nicht zu spüren. Neuanfang? Viel zu vorsichtig. Es wird Zeit, nur noch 23 Tage bleiben, um den skeptischen Wähler zu überzeugen.
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