Westfalenpost: Maklerin der Mächtigen In Heiligendamm brillierte die Kanzlerin
Hagen (ots)
Von Winfried Dolderer
Man wird sich wohl bis 2050 gedulden müssen, um letztlich bewerten zu können, was acht Staats- und Regierungschefs in diesen Tagen an der Ostsee beschlossen haben. Man wird dann entweder sagen, der Heiligendammer Gipfel sei ein Schritt gewesen, ein kleiner vielleicht, aber immerhin ein nicht unwichtiger, auf einem Weg, auf dem die Menschheit allmählich ihrer Bedrohung durch den Klimawandel innegeworden sei und schließlich die Entschlossenheit und Kraft gefunden habe, das Verhängnis abzuwenden. Oder das Urteil wird lauten, in Heiligendamm sei einmal mehr jene Art virtueller Politik betrieben worden, von der sich die Realität nicht im mindesten beeindrucken lässt. Wer die bisherigen Erfahrungen mit Beschlüssen der G8 bedenkt, und zudem weiß, dass sich in Heiligendamm acht Mächte geeinigt haben, die längst nicht mehr das alleinige Sagen haben in der Welt, wird letzteres für wahrscheinlich halten. Und dann wäre es auch wirklich nicht so wichtig, ob man nun beschließt, den Schadstoffausstoß bis 2050 um die Hälfte zu verringern, oder nur, ernsthaft darüber nachzudenken, wie in Heiligendamm geschehen. Was man hingegen schon jetzt mit einiger Sicherheit sagen kann: Die Gewinnerin dieser Tage heißt Angela Merkel, "Miss World", wie ein Boulevardblatt sie bereits tituliert. Man hat eine Kanzlerin im Sonnenglanz erlebt, womit nicht nur das Wetter beschrieben ist, das die Kulissen aufs schönste zur Geltung brachte und jene Bilder erzeugen half, ohne die die Darstellung der Macht auch schon zu Zeiten der Herzöge von Mecklenburg nicht ausgekommen ist. In Heiligendamm brillierte Merkel zum wiederholten Mal in jener Rolle, die ihr ganz offenbar am meisten liegt, als Maklerin der Mächtigen, der es diesmal gelungen ist, den hartleibigen US-Präsidenten zu bewegen, zu einem Formelkompromiss in Sachen Klimaschutz immerhin. Wer nicht ihren Pragmatismus, ihre stets alle Interessen bedenkende Sachlichkeit besäße, nicht zuletzt ihr mit Bedacht gepflegtes Verhältnis zu George W. Bush, für den Merkel die wichtigste Gesprächspartnerin in Europa ist, hätte vielleicht noch weniger zustande gebracht. Überschätzen muss man ihren Triumph dennoch nicht. Es liegt ja im Interesse aller Beteiligten einer solchen Veranstaltung, am Ende vor dem Publikum nicht mit leeren Händen dazustehen. Irgendeine Einigung nach bis zuletzt unüberwindlich scheinendem Dissens durfte man erwarten, das ist Teil der Inszenierung. Es bleibt das Unbehagen am größenwahnsinnigen Polit-Event und die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Das Bekenntnis zum Kimaschutz - gut so. Mehr Hilfe für Afrika - bravo. Vielleicht wären aber ohne Brimborium die guten Absichten glaubwürdiger gewesen. Der Zaun von Heiligendamm ist eine symbolische Scheide. Er trennt die drinnen, die meinen oder zu meinen vorgeben, sie bewegten die Welt, wenn sie klangvolle Kompromisse verkünden, von der Wirklichkeit draußen.
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