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NRZ: Kommentar zu Missbrauch

Essen (ots)

Die Schilderungen ehemaliger Heiminsassen sind
schwer zu verdauen. Seit wir vor zwei Tagen die ersten Berichte 
veröffentlichten, melden sich weitere Opfer bei uns und schildern ihr
Martyrium. Ein Leben ohne Liebe. Ein Leben mit Prügel und Missbrauch.
Die Zahl der Anrufe zeigt: Es sind nicht nur Einzelfälle. Und sie 
haben sich in vielen Heimen in den 50er- und 60er- Jahren abgespielt,
nicht nur unter Aufsicht und Wegsicht der Kirchen.
In Heimen und Pflege-Einrichtungen leisten Tausende von Betreuern 
aufopferungsvoll eine schwere, segensreiche Arbeit. Sie tun dies mit 
viel Herz, unter Aufbietung all ihrer Kräfte, ohne die verdiente 
gesellschaftliche Achtung und ohne gute Bezahlung. Das ist heute so. 
Und das gilt - bis zum Beweis des Gegenteils - auch für die meisten, 
die vor 40 Jahren die ungeliebten Kinder der jungen Republik in ihrer
Obhut hatten.
Trotzdem ist es wichtig, die dunklen Schatten von damals 
auszuleuchten. Die Opfer haben lange geschwiegen. Und wenn doch mal 
was rauskam, wurde offenbar vertuscht. Das geht jetzt nicht mehr. 
Veröffentlichungen in den Medien und die Einrichtung eines "Runden 
Tisches Heimerziehung" unter Vorsitz der ehemaligen Vizepräsidentin 
des Bundestages, Antje Vollmer, ermutigen offensichtlich die Opfer, 
nach all den Jahren der Scham nun ihr Schweigen zu brechen. Jetzt 
endlich merken sie: "Es interessiert ja doch jemanden, was damals mit
uns passiert ist."
Diejenigen, die heute in Heimen, Kirchen und bei weltlichen 
Heim-Trägern Verantwortung tragen, tun gut daran, den Opfern von 
damals zu helfen. Und ihnen entgegenzukommen. Oft gehören diese 
Menschen heute noch zu den Benachteiligten unserer Gesellschaft. Sie 
beziehen kleine Renten, sind im Umgang mit Behörden und Heimleitungen
ungeübt. Sie brauchen Unterstützung. Sie sollte ihnen gewährt werden.
Unbürokratische Hilfe bedeutet ja noch kein Schuldeingeständnis. Das 
ist ein Akt der Nächstenliebe, der Mitmenschlichkeit. Und wenn eine 
Rentnerin gerne nach Essen reisen möchte, um ihre Akte im Franz Sales
Haus einzusehen, dann darf das nicht daran scheitern, dass ihr die 
44,95 Euro für die Zugfahrkarte fehlen. Und wenn das Heim allein mit 
der Aufarbeitung der schweren Schicksale überfordert ist, kann auch 
der Ruhrbischof als moralische Instanz zum hilfreichen Vermittler 
werden. Schließlich war es eine katholische Einrichtung wenige 
Kilometer vom Bischofssitz entfernt, in der Kindern und Jugendlichen 
von katholischen Nonnen unsägliches Leid zugefügt wurde.
Jetzt wird nicht mehr vertuscht. Die Menschen, die sich so bewegend 
offen und erschütternd an uns gewandt haben, erwarten von ihrer 
Zeitung, dass sie Öffentlichkeit für ihr Leiden herstellt. Das tun 
wir heute. Und in Zukunft.

Pressekontakt:

Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Redaktion

Telefon: 0201/8042607

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