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NRZ: Christdemokratische Verunsicherung - ein Kommentar von WINFRIED DOLDERER
Essen (ots)
Es ist ein periodisch auftauchendes Gespenst, dem Ungeheuer von Loch Ness nicht unähnlich. Seit Sonntag ist es wieder soweit: Nach dem Sieg des Grünen Fritz Kuhn bei der Oberbürgermeister-Wahl in Stuttgart geht in der CDU die Sorge um, von großstädtischen Wählern nicht mehr gemocht zu werden, und die bange Frage, wie dem abzuhelfen sei. Wann das Gespenst zum ersten Mal auftrat, lässt sich datieren. Es war 2002 nach der verlorenen Bundestagswahl. Vielleicht nicht von ungefähr in einer Zeit, als eine noch nicht so lange amtierende Vorsitzende sich anschickte, die Partei einer drastischen Modernisierungskur zu unterziehen.
Seither ist das Thema verknüpft mit einem christdemokratischen Richtungsstreit. Mit dem Hinweis auf Wahlergebnisse in großen Städten mahnen "Modernisierer" eine noch weitergehende Hinwendung zu zeitgenössischen Befindlichkeiten an. Ebenfalls mit dem Hinweis auf Wahlergebnisse warnen "Konservative", das Stammpublikum zu vernachlässigen. Seit Jahren dreht sich die Debatte im Kreis.
Der politische Gegner reibt gerne Salz in die Wunde. Gestern waren es die vor Siegesbesoffenheit außer Rand und Band geratenen Grünen, die Herrn Kuhns Erfolg zum Signal einer "Zeitenwende", sich selbst für "hegemonial" und die CDU für nicht mehr mehrheitsfähig erklärten. Wahr ist: Die Wähler sind unberechenbarer geworden als sie früher einmal waren. Das verunsichert die traditionellen Volksparteien. Beide. Bei der CDU ist die Sorge um die "Großstadtkompetenz" das Symptom dieser Verunsicherung. Falls der Hinweis die Besorgten tröstet: Nur 15 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland leben in Städten mit mehr als 400.000 Einwohnern.
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