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NRZ: Verblüffende Überheblichkeit - ein Kommentar von JAN JESSEN
Essen (ots)
Chaos in Ägypten. Bürgerkrieg in Syrien. Blutige religiöse Auseinandersetzungen im Irak und im Libanon. Staatszerfall in Libyen. Eine ganze Region geht in Flammen auf. In den Kommentarspalten im Internet wissen viele, warum das so ist. Weil die Menschen in dieser Region halt nichts anderes können, als sich die Köpfe einzuschlagen. Weil der Araber - besser noch: der Muslim - eben als solcher nicht demokratiefähig ist. Weil er irgendwie schon ziemlich rückständig ist. Weil er die Aufklärung noch hinter sich bringen muss. Diese Auswürfe zeugen von einer verblüffenden, von einer erschreckenden Überheblichkeit und Ignoranz. Die arabische Welt sortiert sich gerade neu. Das kann, wie sämtliche Umwälzungen in der Geschichte, nicht gänzlich unblutig und geordnet vonstatten gehen. Diese Region ist eine, in der Nationalstaaten zumeist künstliche Konstrukte sind, auf dem Reißbrett entworfen von westlichen (nennen wir sie ruhig: christlichen) Kolonialmächten; in der jahrzehntelang Despoten herrschen konnten, die vom Westen hofiert wurden. Es ist eben auch diese Geschichte, die jene Extremisten nach oben gespült hat, die jetzt den Islam als politische Waffe missbrauchen und ihn zu einer lebens- und lustfeindlichen Ideologie deformiert haben. Jetzt streiten die Menschen in der Region um eine selbstbestimmte Zukunft. Wer obsiegen wird, säkulare und liberale, moderat-islamische oder radikal-islamistische Kräfte, ist noch völlig offen. Es ist gerade einmal zweieinhalb Jahre her, dass der Arabische Frühling begann; das ist nur ein Wimpernschlag in der Geschichte. Nur zur Erinnerung für all jene, die sich in einer herablassenden Art und Weise über die Vorgänge in der arabischen Welt und die Menschen dort auslassen: Wir in Europa haben viele Jahrzehnte gerungen, bis es hier Frieden und so etwas wie Demokratie gab; inklusive diverser ideologischer Fehltritte und ungeheuerlicher Verbrechen. Es ist noch nicht wirklich lange her, da ist der komplette Kontinent gleich zweimal kurz hintereinander in Schutt und Asche gelegt worden, inklusive 60 Millionen Toten. Und das, ganz nebenbei, nachdem wir die Aufklärung schon lange hinter uns hatten.
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