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NRZ: Merkel hält die Fäden in der Hand - ein Kommentar von MIGUEL SANCHES

Essen (ots)

Irgendwann Mitte Dezember werden wir eine Regierung haben. Wenn wir drei Monate Wahlkampf und weitere drei Monate Koalitionsfindung addieren, wird Deutschland seit einem halben Jahr mit halber Kraft regiert. Die gute Nachricht ist: Dem Land scheint es nicht geschadet zu haben. Wie sich die Machtpolitiker ähneln! Schon der Sozialdemokrat Gerhard Schröder mahnte, man dürfe einen Koalitionsvertrag "nicht als Bibel betrachten". Genau so bibeltreu ist auch seine Nachfolgerin Angela Merkel. Zur Halbzeit der Gespräche mit der SPD drängt sich der Eindruck auf, dass sie vieles laufen lässt. Die Kanzlerin ist zu uneitel, um sich von Überschriften wie "In der Zange der Populisten" aus der Reserve locken zu lassen. Sollen Horst Seehofer und Sigmar Gabriel doch glauben, dass sie die Gespräche dominieren. Die Frage nach der Handschrift der CDU ist ohnehin schwer zu beantworten: Schon Programm und Wahlkampf waren so scharfkantig ja nicht. Wer Merkel auf den Marktplätzen begleitet hat, der hat vom "Angie"-Wahlkampf nicht viel in Erinnerung behalten: Nur ihren Spott über den Veggie-Day der Grünen und ihre Ablehnung höherer Steuern oder Schulden. Nimmt man den "Angie"-Wahlkampf als Maßstab, dann sind die Christdemokraten noch im Plan. Bloß: Dem einen oder anderen CDU-Politiker wird erst jetzt klar, dass die SPD politisch ehrgeiziger ist. Sie wollte einen Mindestlohn von 8,50 Euro - sie kriegt ihn. Es wird die Frauenquote und Erleichterungen von der Rente mit 67 geben, dazu auch Verbesserungen für Doppelstaatler. Eine Position, die Merkel selbst Probleme bereiten könnte, ist die CSU-Forderung nach einer PKW-Maut. Das hat die Kanzlerin rigoros ausgeschlossen, entgegen ihrem Naturell: öffentlich. Hier muss sie Abbitte leisten oder tricksen. Tippen wir mal auf einen Auftrag, eine Maut zu prüfen, die EU-kompatibel ist und deutsche Autofahrer nicht belastet. Dazu kann man Kommissionen einsetzen, Koalitionsrunden abhalten und Noten mit der EU austauschen. Darüber können vier Jahre vergehen. Die FDP hat diese Erfahrung in der Steuerpolitik gemacht und Ministerin Ursula von der Leyen bei der Rente. Entscheidend ist, dass Merkel die Richtlinienkompetenz hat und der Haushalt nicht in falsche Hände gerät. Mit dem Hinweis auf den Sparkurs kann man jeden Beschluss verzögern. Ein Koalitionsvertrag ist zwar verbindlicher als eine Wunschliste, aber das ist nur in Maßen zutreffend.

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