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NRZ: Ein Leben lang einer der Anderen - ein Kommentar von JAN JESSEN
Essen (ots)
Es sind unruhige Zeiten, in denen viele Menschen sich nach Orientierung sehnen. Dazu gehört ein neuer Patriotismus, eine Art Einkapselung, um sich gegen die Anwürfe einer zunehmend als bedrohlich wahrgenommenen Welt zu verschließen. Dieser Patriotismus braucht Symbole, die Fahne, die Hymne, aber auch die Vergewisserung, wie Deutsch ein Mensch sein muss, um als Deutscher zu gelten. Die Hürden dazu werden offenbar zunehmend höher, wie der Fall Özil gezeigt hat. Der Fußballspieler, der nie Integrations-Posterboy sein wollte, aber dazu vom DFB gedrängt wurde, ist an diesen Hürden gescheitert. Das ist auch deshalb so bitter, weil es die Verunsicherung vieler Menschen mit Zuwanderungsgeschichte verstärken wird. Natürlich: Der Mann hat Fehler gemacht. Das Bild mit Erdogan hätte nicht entstehen, er hätte nicht so lange schweigen dürfen. Sein Rücktritt: richtig. Gleichwohl ist es wohl nicht falsch anzunehmen, dass die Erregung, die Wut, ja der Hass, der sich über Özil ergoss, sich nicht allein durch seine fatale Zurschaustellung mit dem türkischen Diktator erklären lässt - immerhin lässt die meisten Deutschen vergleichsweise kalt, dass ihre Regierung mit eben diesem Erdogan noch immer eng verbunden ist; erst jüngst hat Berlin Reisehinweise und Sanktionen entschärft. Der Vorwurf, den Özil erhebt und der vom DFB mit Vehemenz zurückgewiesen wird, ist der des Rassismus. Es ist dabei wenig hilfreich, wenn Menschen, die niemals Opfer rassistischer Anfeindungen wurden, die Deutungshoheit darüber beanspruchen, was genau Rassismus ist. Situationen, die von alteingesessenen Deutschen als völlig harmlos eingestuft werden, können von Deutschen mit Zuwanderungsgeschichte als verletzend wahrgenommen werden. Wenn nun einem jungen Mann wie Özil Mimosenhaftigkeit und eine Selbststilisierung zum Opfer vorgeworfen werden, weil er eine Kampagne gegen ihn beklagt, die er als rassistisch grundiert empfindet, dann spricht daraus eine gefährliche Überheblichkeit. Gefährlich deshalb, weil diese Anwürfe die Gräben zwischen speziell den jungen Menschen türkischer Abstammung und der Mehrheitsgesellschaft vertiefen. Am Ende bleibt für viele von ihnen die Erkenntnis, dass es egal ist, wie sehr sie sich bemühen. Sie bleiben die Anderen, die jenseits der patriotischen Kapsel, diejenigen, deren Eltern schon in Deutschland geboren wurden und die dennoch zu hören bekommen: "Du sprichst aber gut Deutsch". Die zwar dann ein Schulterklopfen ernten, wenn es gut läuft; die aber die kalte Schulter gezeigt bekommen, wenn sie einen Fehler begehen.
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