Neues Deutschland: Ekelfleisch
Berlin (ots)
In einem griechischen Lokal im Hamburger Schanzenviertel konnte man in den 1970er Jahren ausgezeichnet essen. Der Wirt verarbeitete Freibank-Fleisch, das er im nahe gelegenen Schlachthof preiswert ein- und zubereitet preiswert verkaufte. Es stammte zumeist aus kontrollierten Notschlachtungen. Seit der Überproduktion von Fleisch haben die Freibanken ausgedient. Fleisch, das vordem als »bedingt tauglich« etikettiert wurde, wird heute nach einer EU-Verordnung als Kategorie 3 eingestuft: nicht gesundheitsschädlich, aber zum menschlichen Verzehr »ungeeignet«. Bei den 200 Tonnen »Gammelfleisch«, die jüngst aus Bayern kamen, handelte es sich um solches K3-Fleisch. Dass es zwecks Absatzes und höheren Gewinns umetikettiert wurde, bleibt ein Skandal, der Abhilfe erfordert. Umso mehr ist dies bei tatsächlich verdorbenem Fleisch nötig.
Aber der Vorgang verweist auch auf etwas anderes: Ekel ist in unserer Gesellschaft leicht erzeugt. Er ist die Kehrseite eines überbordenden Luxus, der als Norm hofiert wird, obwohl er es gar nicht sein kann. Die Begriffe »Gammelfleisch« und »Ekelfleisch« markieren eine Konsum- und Akzeptanzgrenze, die nicht mehr hinterfragt wird. Nun soll diese Grenze auch noch einen ekligen Farbanstrich erhalten. Nur beim Fleisch oder irgendwann auch bei anderen Dingen, gar Menschen, vor denen wir uns ekeln sollen? In Pariser Vororten ließen die Behörden kürzlich Stinkstoffe an Plätzen versprühen, an denen Obdachlose campieren.
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