neues deutschland: Türkei: Mystische Urteile
Berlin (ots)
Das Ende des Mammutprozesses gegen den sogenannten Geheimbund Ergenekon lässt viele Türkei-Beobachter so klug wie zuvor zurück. Und das nicht nur, weil es schon schwer genug ist, ein Verfahren gegen 275 Angeklagte auf fast 40 000 Seiten Gerichtsakten zeitlich zu verfolgen. Nach wie vor bleibt unklar, was genau an den Putsch-Vorwürfen zum Sturz der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dran ist. Waren zunächst vor allem Militärs angeklagt worden, verlängerte sich die Liste von Verdächtigen mit den Jahren um Politiker, Akademiker und Journalisten, die vom Verfahren berichteten. Dass einige von ihnen über Jahre in Untersuchungshaft saßen und immer wieder Ungereimtheiten im Beweismaterial bekannt wurden, lässt Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen und schürt Verschwörungstheorien - als wäre der Bezug zur Ergenekon-Legende bei der Bezeichnung des vermeintlichen Putsch-Netzwerks der Rätselhaftigkeit nicht genug. Die Durchsetzung transparenter, rascher und zielgerichteter Gerichtsverfahren ist der einzige Weg, wie Erdogan wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen könnte. Chancen dafür gibt es derzeit genügend. Zahlreiche Journalisten, Oppositionelle und deren Anwälte stehen wegen Terrorverdacht vor Gericht. Doch das Vorgehen der Regierung gegen ihre seit Ende Mai vor allem um den Gezi-Park in Istanbul protestierenden Kritiker lässt kein Ende solch mystischer Urteile erahnen.
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