neues deutschland: Gegen eine Überschätzung Chodorkowskis
Berlin (ots)
In den ersten 36 Stunden nach der Freilassung blieben Michail Chodorkowski und sein Unterhändler Hans-Dietrich Genscher diplomatisch zurückhaltend. Doch sprießen nach seiner Begnadigung und Ausreise einige Legenden. Dafür sorgen näher oder ferner Beteiligte, auch zeitweilige Nutznießer plötzlicher Aufmerksamkeit. Was als ganz große Politik beginnt, landet letztlich doch beim Boulevard. Ob der Öl-Magnat und Kreml-Kritiker politisch oder wegen schwerer Wirtschaftskriminalität verurteilt worden sei, darüber konnten sich selbst Amnesty International und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht einigen. Doch keinesfalls kam er als Andrej Sacharow aus der Verbannung oder als Alexander Solschenizyn, Lew Kopolew oder Sergej Kowaljow aus dem Archipel Gulag. Sie widmeten sich anderen Menschen und ihren Rechten - ungeachtet der Gegner und Folgen. Wird der Begnadigte bei ihnen eingereiht, ist das eine klare Überschätzung. Ein Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes entstieg den Wirren des Unterganges der Sowjetunion als knallharter und übermenschlich reicher Kapitalist. Zwar Oligarch, unterlag er doch Mächtigeren. Das aber macht aus ihm keinen Menschenrechtler oder eine moralische Institution.
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