Mittelbayerische Zeitung: Gefangen im Netz Leitartikel zur Energiewende
Regensburg (ots)
Jetzt muss es schnell gehen. Am 15. März begann das Atomkraftwerk in Fukushima, außer Kontrolle zu geraten. Selbiges ist damit den (bisherigen) Befürwortern der Kernkraft mit ihrem Energiekonzept widerfahren. Aus, vorbei - die Atomkraft in Deutschland ist tot. Deren inzwischen so eindeutig negative Strahlkraft auf ihre Befürworter lässt nun in Baden-Württemberg einen Grünen Ministerpräsident werden - klarer kann eine Botschaft nicht ausfallen. Ja, die Deutschen wünschen sich die sofortige Energiewende, eine ökologisch vertretbare Versorgung, die so nebenbei auch ein hierzulande besonders ausgeprägtes Grundbedürfnis befriedigt: Jenes nach Sicherheit: Vor katastrophalen Unfällen, vor dem Klimawandel, vor plötzlichen Versorgungsengpässen, wenn die Öl- und Gaslieferanten aus welchen Gründen auch immer kurzerhand ausfallen. Das alles ist uns etwas wert, das damit verbundene gute Gewissen obendrein. Es wird uns auch etwas wert sein müssen, und zwar ziemlich viel. Denn der Umbau unserer Stromversorgung wird eine Summe verschlingen, mit der wir Griechenland, Portugal und Irland alleine retten könnten und danach noch etwas übrig hätten, um uns selbst zusätzlichen Luxus, etwa Steuersenkungen, zu gönnen. Der Umbau umfasst die gesamte Kette der Versorgung: Die Erzeugung unter anderem mit Windrädern, Sonnenspeichern, Biogas und weiteren, noch in der Entwicklung steckenden natürlichen Energieträgern; die Verteilung mit Stromautobahnen quer durchs Land und darüber hinaus; die Steuerung des gesamten Systems mit intelligenten Netzen (Smart Grids). All das ist unglaublich teuer. Bis 2050 könnten allein für die Erzeugung drei Billionen Euro zusammenkommen. Das hat zwar die der Parteilichkeit nicht ganz unverdächtige RWE errechnet. Der Energiekonzern mag dabei etwas hoch gegriffen sein. Aber auch wenn es nur halb so teuer wäre, bliebe die Summe eindrucksvoll. Bei den Netzen ist der Aufwand mit einer dreistelligen Milliardensumme europaweit nicht minder imposant. Wir müssen uns gut überlegen, ob uns die ultrateure Erdverkabelung gegenüber den - zugegeben wenig dekorativen - Überlandleitungen nicht überfordert - sie wird sich deutlich in der Stromrechnung niederschlagen. Und wir werden uns mit Smart Grids und Smart Meter (Stromzähler) anfreunden müssen, die das Verbrauchsverhalten so gläsern machen wie es die individuellen Interessen durch die Einsicht ins Internet-Protokoll werden. Die intelligenten Netze sollen dabei helfen, den Stromverbrauch so zu steuern, dass er einigermaßen kompatibel wird zu den schwankend liefernden Windrädern und Sonnenkollektoren. Zumindest bei Privathaushalten bleibt der Effekt indes begrenzt: Man kann das Kochen oder Wäschewaschen nicht beliebig in die Nacht verlagern, in der zwar Strom im Überfluss auf Abnehmer wartet, aber die menschlichen Elementarbedürfnisse Hunger und Schlaf so gar nicht mit denen des Netzes harmonieren. Studien haben ergeben, dass intelligente Stromzähler bestenfalls 50 Euro Energie im Jahr einsparen, aber so viel kosten, dass der Verbraucher am Ende unweigerlich draufzahlt. Dennoch werden wir uns diese Steuerungen wie all die anderen Komponenten leisten müssen. Das alles hört sich im Vergleich zur heutigen Versorgung unwirklich teuer an. Aber unsere aktuelle Rechnung stimmt ja nur dann, wenn eine Atomkatastrophe ausbleibt; und weil die Entsorgungskosten von Brennmaterial und ausgedienten Kraftwerken nur zum Bruchteil eingepreist sind.
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