Mittelbayerische Zeitung: Interview mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
"Dass wir einen offenen Blick dafür haben, ob sich Schnittmengen verändern, ist doch nicht der Rede wert"
Regensburg (ots)
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, steht es mit der christlich-liberalen Koalition denn schon so schlecht, dass Sie Koalitionsempfehlungen in Richtung SPD ausgeben müssen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich will den Erfolg der Koalition in Berlin. Und die FDP ist ein verlässlicher Koalitionspartner. Es gehört dazu, dass wir, genau wie alle anderen Parteien, auch die Veränderungen im Parteiensystem analysieren. Schließlich ist die FDP eine eigenständige Partei. Und dass wir einen offenen Blick dafür haben, ob sich Schnittmengen verändern, ist doch nicht der Rede wert.
Aber warum kommen Sie gerade jetzt mit diesen Überlegungen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Frage ist nicht, wann ein Zeitpunkt richtig ist und wann nicht. Derzeit erleben wir Verschiebungen im Parteienspektrum. Die Grünen werden mit ihrem Identitätsthema Atomausstieg künftig nicht mehr so stark werben können wie in der Vergangenheit. Bis auf die Linkspartei orientieren sich alle Parteien an der Mitte des Parteienspektrums. Die Sozialdemokraten, die zwischen Grünen und Linken ihren Platz noch nicht gefunden haben, kämpfen nach wie vor mit großen Problemen. Und wir haben zwei Unionsparteien, deren Reformfreudigkeit nicht immer sehr ausgeprägt ist.
Und wo steht da die FDP?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP ist mit ihrem Programm "Freiheit in Verantwortung" eine selbstbewusste und eigenständige politische Kraft. Wir haben immer in den Ländern in ganz unterschiedlichen Bündnissen Verantwortung übernommen. Das ist nichts Neues. Nach dem Energiewende-Beschluss wird die Debatte über die Veränderungen im Parteienspektrum Fahrt aufnehmen. Wir müssen uns darüber Gedanken machen: Wie sehen wir die Zukunft der FDP strategisch?
Trotz alledem klingt das so, als sei die Vertrautheit zwischen Union und Liberalen nicht mehr so, wie sie einmal war.
Leutheusser-Schnarrenberger: Das stimmt nicht. Aber die Union koaliert doch in den Ländern auch mit SPD oder Grünen, wenn sie es für richtig hält.
Diese Freiheit wollen Sie sich auch nehmen dürfen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Union ist doch immer auf der Suche, wie sie Politik gestalten kann. Das ist normal, und das finde ich richtig. Warum soll das nicht für die FDP gelten? Ich will einen Beitrag zu einer Debatte leisten, nicht zum Verlassen einer Koalition. Ich habe schließlich die Koalition in München mit der CSU selbst mitgeschmiedet. Daher habe ich das allergrößte Interesse, dass sie bis 2013 eine erfolgreiche Bilanz vorlegen kann - genauso wie die Koalition in Berlin.
Ärgert Sie das Liebäugeln der Union mit den Grünen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, denn die Grünen können ja Mehrheitsbeschaffer für die Union sein.
Die SPD hat sich wenig beeindruckt von Ihrem Vorschlag gezeigt ...
Leutheusser-Schnarrenberger: Naja, die SPD muss sich ja erst einmal selbst finden.
Haben die klassischen Lager in der Parteienlandschaft ausgedient?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir brauchen einfach mehr Offenheit im Umgang der Parteien generell. Wir haben in dieser Woche die Abstimmung über die Präimplantationsdiagnostik im Bundestag. Das wird ein gutes Beispiel sein, wie man über Parteigrenzen hinweg zu guten Ergebnissen kommen wird. Allerdings muss man auch deutlich machen, wo die Unterschiede liegen.
Wenn wir bei Unterschieden sind: In Sachen Vorratsdatenspeicherung stehen die Zeichen zwischen Ihnen und Bundesinnenminister Friedrich nicht auf Einigung ...
Leutheusser-Schnarrenberger: Im Bereich der Innen- und Rechtspolitik habe ich bei den Anti-Terror-Gesetzen erst gezeigt, dass man mit den Liberalen sehr wohl vernünftige Kompromisse erzielen kann. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein wirkliches Grundsatzthema. Deswegen ist es vernünftig, wenn wir es nicht jeden Tag zum Anlass für Streit in der Koalition nehmen. Auf europäischer Ebene wird die Richtlinie, die der Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegt, bis Ende des Jahres überarbeitet. Daher sind wir gut beraten, nicht täglich über dieses Thema zu streiten, sondern abzuwarten, was sich in Europa tun wird.
Und was ist mit dem Dauerstreitthema Steuersenkungen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Für mich lautet das Thema eigentlich "mehr Steuergerechtigkeit". Das Ziel, sie bis zum Ende der Legislaturperiode umzusetzen, ist klar. Nur der Weg dahin, der Umfang, der Zeitpunkt, sind im Moment noch nicht zu Ende verhandelt. Ich halte es für richtig, dass die FDP - wie auch in der Koalition in Bayern - dafür eintritt, Spielräume zu nutzen - die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ist neben Haushaltskonsolidierung möglich. Aber das wird verhandelt - und zwar intern in der Koalition, um dann ein Konzept der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es bringt nichts, wenn wir uns immer neue Steuerkonzepte zurufen. Es hilft keinem Koalitionspartner, wenn man Vorschläge immer erst in die Öffentlichkeit bringt, während das Konzept noch nicht feststeht. Für uns ist klar, dass sich die Union im Geist des Koalitionsvertrages auf uns zubewegen muss.
Das alles klingt nach sehr vielen Ausrufezeichen in Richtung der Unionsparteien.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe ein sehr gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie weiß aber auch, dass ich auf ein klares Profil meiner Partei in meinem Bereich achten muss, und gleichzeitig immer Kompromissmöglichkeiten auslote.
Das heißt, es gibt viele Knackpunkte, aber noch keine Bruchstellen ? Leutheusser-Schnarrenberger: Genau. Das ist aber auch normal in Koalitionen. Denken Sie einmal daran, wie heftig sich Union und SPD teilweise gestritten haben.
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