Mittelbayerische Zeitung: Kaiser ohne Kleider Leitartikel zu Rupert Murdoch
Regensburg (ots)
Für die Abgeordneten des britischen Unterhauses ist es wie im Märchen. Mit einem Schlag erkennen die Volksvertreter: Der Kaiser hat keine Kleider an. Rupert Murdoch, der Unantastbare, der Mann, vor dem sie alle zitterten und dessen Zeitungen sie alle fürchteten, musste vor ihnen erscheinen und Rede und Antwort stehen. Seine Macht über sie ist dahin. Der Spieß hat sich gedreht, und jetzt ist es Murdoch, der Angst haben muss. Ein kollektives Aufatmen scheint durch die ehrwürdigen Hallen des Unterhauses zu gehen: Endlich ist man frei vom Würgegriff des Australiers. Tatsächlich lag die Bedeutung des Murdoch-Auftritts mehr in seiner Symbolik als in dem, was Rupert Murdoch vor dem Medienausschuss des Unterhauses zu sagen hatte. Das war nicht viel, zumeist Ausflüchte, nur ein halbherziges Sorry und vor allem die Ablehnung des News-Corp-Chefs, Verantwortung für den Abhörskandal tragen zu wollen. Aber dass Murdoch überhaupt ausgesagt hat, dass hier Volksvertreter versuchten, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, demonstriert, dass sich die Balance der Macht geändert hat. Rupert Murdoch wird, selbst wenn er sein britisches Medienimperium retten kann, in Zukunft kleine Brötchen backen müssen. Die Parlamentarier behaupten sich und fordern, dass Konsequenzen aus dem Abhörskandal gezogen werden. Es wird sich viel verändern in Großbritannien aufgrund der Hackingaffäre. Die langfristigen Konsequenzen sind noch gar nicht abzusehen. Aber sicher ist, dass es zwischen Presse und Politik nicht mehr wie bisher die "schmusigen Beziehungen" wie bisher geben kann, wie es Premierminister David Cameron ausdrückte. Er selbst ist ein gebranntes Kind. Seit Amtsantritt hat sich der Premierminister mindestens 27 Mal mit Topleuten des Murdoch-Konzerns getroffen. Enge persönliche Kontakte bestehen zwischen ihm und der zurückgetretenen Managerin Rebekah Brooks. Die Opposition darf ihm ein "ernstes Versagen des Urteilsvermögens" vorwerfen, nachdem er Andy Coulson als Kommunikationschef in der Downing Street beschäftigte, denn Coulson ist als ehemaliger Chefredakteur der "News of the World" ebenfalls in den Abhörskandal verstrickt. Auch die Polizei wird nach den zwei Rücktritten von Scotland-Yard-Chefs in Zukunft auf weit größere Distanz zu den Medien gehen müssen. Jene Crossovers, wo ehemalige Polizisten für Murdoch-Blätter schreiben oder Murdoch-Journalisten für die Polizei arbeiten, zeigen nur zu deutlich die gefährliche Nähe von Staat und Presse. Und auch die Medien blicken Reformen entgehen. Die freiwillige Selbstkontrolle hat versagt. Eine von der Industrie und der Regierung unabhängige Instanz ist gefordert, die die Methoden der Presse kontrolliert. Zudem wird jetzt darüber diskutiert, wieviel Medienkonzentration das Land in Zukunft zulassen kann. Aber ob sich der britische Journalismus selbst von Grund auf ändern wird? Schön wäre es. Da in Großbritannien Abonnements unbekannt sind, muss sich jede Zeitung täglich am Kiosk mithilfe ihrer Schlagzeilen verkaufen. Der Zwang zur sensationellen Aufmachung und zur exklusiven Geschichte verleitet zum Einsatz der dunklen Künste des Gewerbes: Täuschung, Fallenstellen, verdecktes Filmen oder der Einsatz von Lockspitzeln - all das ist an der Tageordnung. Der öffentliche Appetit auf saftige Enthüllungen wird auch in Zukunft nicht abnehmen - und daran würde auch die Einführung eines Mediengesetzes nichts ändern. Worauf man allerdings hoffen darf: Kein Medium wird es wagen, eindeutig illegale Methoden wie Telefonhacking einzusetzen.
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