Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel der Mittelbayerischen Zeitung (Regensburg) zum Attentat in Norwegen:
Regensburg (ots)
Aus dem Nichts?
Der Doppelanschlag ist ein Indiz für das vergiftete Klima, das rechte Parteien in Europa erzeugt haben.
Gibt es einen Weg, die Tat von Anders Behring Breivik zu erklären? Leider nein. Niemand kann jemals begründen, wie ein bislang unauffälliger junger Mann jahrelang einen Bombenanschlag und einen Amoklauf planen kann. Wie dieser Mann eiskalt und berechnend Kinder und Jugendliche jagt und tötet. Wie er sich widerstandlos festnehmen lässt. Und wie er vor Gericht die Taten gesteht - und gleichzeitig die Schuld von sich weist. Und dennoch: Anders Behring Breivig ist nicht vom Himmel gefallen. Der Attentäter von Oslo und Utøya ist eine Figur, in der sich aktuelle, extreme gesellschaftliche Strömungen kristallisieren. Er ist nicht nur ein christlicher Fundamentalist. Er ist nicht nur ein Rechtsextremer. Er ist beides - und noch viel mehr. Breivig ist bei klarem Verstand. Seine Kaltblütigkeit ist verstörend. Nach dem Massenmord ist er ungerührt. Er hat nicht einmal versucht, wie es andere vor ihm taten, sich im Angesicht seiner Verhaftung selbst zu richten: Weil er fest überzeugt ist, mit dieser Schuld leben zu können - oder eben, weil er sich keiner Schuld bewusst ist, weil er glaubt, eine Mission zu haben. Breivig ist kein klassischer Neonazi. Sein Weltbild enthält eine Vielzahl von politischen Versatzstücken, von Aussagen und Pamphleten anderer Amokläufer, von geschichtlichen Verweisen und religiösen Motiven. Und dennoch kulminiert es im Glauben daran, sein Land und Europa vor einem "Kulturmarximus" retten zu müssen. Welche Gefahr sich in Anders Behring Breivig manifestiert hat, wird erst klar, wenn man sich den europäischen Kontext ins Gedächtnis ruft, in dem die Wahnsinnstat geschah. Platt gesagt: Anders Behring Breivig ist die Giftpflanze, die auf dem Misthaufen gewachsen ist, den der Rechtspopulismus in Europa produziert. Es ist entlarvend, dass die großen rechten Parteien in Europa auf Distanz zu Breivigs Taten gehen. Sie wollen nicht als Ideengeber gelten für das Unfassbare. Dabei sind sie genau das. Sie propagieren dieselben Ideen, mit denen Breivig seine Taten begründet: Angst vor dem Islam, vor der Überfremdung, vor einer multikulturellen Gesellschaft. Diese Angst ist in allem Ländern Europas endemisch - auch in Deutschland, auch jenseits von Stammtischdumpfheiten. Wer einen Beweis benötigt, sollte sich den Erfolg von Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" vergegenwärtigen. Das Buch strotzt vor Vereinfachungen, vor falscher Fakten und Zerrbildern. Zu einer Lösung der Probleme einer sich wandelnden Gesellschaft trägt es rein gar nichts bei. Und dennoch hat es sich millionenfach verkauft. Es steht außer Frage, dass Integration nicht ohne Probleme abläuft. Es hilft nur nichts, sie zu skandalisieren. Sie müssen sachlich korrekt thematisiert werden. Vor allem braucht es Lösungsvorschläge. Nur gelingt es den politischen Parteien in Europa jenseits des rechts Spektrums offenbar nicht mehr, dies zu leisten. Es ist erschreckend, dass Breivig seine Hassmorde in einem reichen und toleranten Land wie Norwegen verübte, das eine starke sozialdemokratische Tradition hat. Das Handeln des Attentäters wird nie ganz zu erklären sein. Aber seine Motive sind klar. Der Auftrag an die Politik muss daher sein, die Menschen nicht mit diffusen Ängsten alleine zu lassen. Europa braucht weniger Populismus und eine klarere Abgrenzung zu den rechten Rändern des Parteienspektrums. Es braucht mehr Bekenntnisse von der Art, wie sie Bundespräsident Wulff zum Thema Islam in Deutschland abgelegt hat. Anders Behring Breivig ist noch ein Einzelfall in Europa. Das muss er auch bleiben.
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