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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar/Leitartikel zum Richtungsstreit der CDU

Regensburg (ots)

Wo sind die Wähler?

Die Union diskutiert über ihr Profil.

Nostalgie wird der CDU aber nicht weiterhelfen.

Früher war einfach alles besser - mancher Unionsanhänger stimmt diesem Seufzer zur Zeit gerne zu. Früher erzielten die Volksparteien CDU und CSU bei Bundestagswahlen über 40 Prozent, heute muss die Union laut aktuellen Umfragen mit 32 Prozent zufrieden sein. Früher verteidigte die Partei stramm ihre Werte: Wehrpflicht, gegliedertes Schulsystem, Ja zur Kernkraft, um nur ein paar Stichworte zu nennen. Nichts davon ist geblieben. Wen wundert es da, das jetzt in der politischen Sommerpause manche Unionspolitiker wieder mal über die Zukunft der C-Parteien nachsinnen. Erwin Teufel gab den Anstoß. Ohne die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel namentlich zu kritisieren, warnte der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg speziell die CDU vor einem Profilverlust. Teufel beruft sich auf Fakten. Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die Union jeweils über eine Million Wähler an die FDP und die Gruppe der Nichtwähler. Obwohl die Liberalen dahin siechen, gelang es aber CDU und CSU bisher nicht, die zur FDP-abgewanderten Anhänger zurück zu gewinnen. Auch frustrierte frühere Stammwähler konnte die Union nicht wieder überzeugen. Teufel kommt daher zu dem Schluss - und CSU-Parteichef Horst Seehofer hält das für durchaus bedenkenswert - die Union müsse sich wieder stärker auf ihre Wurzeln besinnen. Das Schielen auf den Zeitgeist bringe nichts. Es sei noch dazu einfacher, frühere Anhänger wieder zu überzeugen, als Wechselwähler und Stammwähler anderer Parteien neu zu gewinnen. Doch hilft diese rückwärtsgewandte Strategie wirklich weiter? Der Wahlforscher Matthias Jung warnt. Die von Teufel bei einem Seniorentreffen angemahnte Rückbesinnung auf das C im Parteinamen bringe die Union nicht weiter. Der Großteil der Katholiken mit starker Kirchenbindung wähle nämlich nach wie vor die Union: Nur: es gibt einfach gar nicht mehr so viele überzeugte Christen in Deutschland. Seit 1990 habe die CDU 5,3 Millionen Wähler durch Tod verloren -von unten seien aber einfach nicht mehr so viele nachgewachsen. Der CDU und der CSU bleibe daher - wenn sie Volkspartei bleiben wollen - gar nichts anderes übrig, als sich nach neuen Wählerschichten umzusehen. Es regt sich daher Widerspruch gegen die Analyse von Teufel. Eine Gruppe junger Unionsabgeordneter aus den Großstädten mahnt Überlegungen an, wie die Union ihre traditionellen Kernkompetenzen mit den neuen Herausforderungen wie Demografie und Migration in Einklang bringen könnte. Für die CDU sind solche Fragestellungen enorm wichtig. In Bremen und in den Groß- und Universitätsstädten von Baden-Württemberg fiel die CDU bei den vergangenen Wahlen bereits auf den dritten Platz hinter den Grünen zurück. Bei den Wahlen in Berlin im September könnte dies auch in der Hauptstadt passieren. Der CDU-Querdenker Heiner Geißler will dieser Situation offensiv begegnen: Er rät seiner Partei zu Bündnissen mit den Grünen, Schwarz-Grün sei auf Dauer besser für die Union als schwarz-gelb. Angela Merkel ist in Urlaub und hält sich aus der Diskussion vorerst heraus. Ob es ihr gelingt, die Strategiedebatten bis und auf dem Bundesparteitag der CDU im Herbst auszusitzen, bleibt aber abzuwarten. Merkels Aufgabe wäre es, die neue CDU-Politik zum Beispiel in der Familien- und Bildungspolitik offensiv zu vertreten. Wer alte Leitbilder aufgibt oder aufgeben muss, sollte schon aus Selbsterhaltungstrieb sich neue positive Ziele setzen und dazu stehen. Das gelingt der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin nicht. Auch deshalb können Analysen von früheren Parteigrößen wie Teufel für soviel Gesprächsstoff sorgen.

Von Gustav Norgall

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