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Mittelbayerische Zeitung: Politik mit Paragrafen // Zum Jubiläum des Bundesverfassungsgerichts: Die Richter prägen mit ihren Urteilen das Land - mehr Zurückhaltung wäre angesagt.

Regensburg (ots)

Die Politik in diesem Land wird von nur 16 Frauen und Männern entscheidend geprägt - und die meisten von uns kennen nicht einmal die Namen dieser roten Robenträger. 16 Frauen und Männer urteilten darüber, ob die Ostverträge gelten sollten, ob ein Kruzifix ins Klassenzimmer gehört, ob ein Kopftuch zulässig ist, ob Soldaten als Mörder bezeichnet werden dürfen, ob der Lissabon-Vertrag über die EU verfassungskonform ist, ob die NPD verboten werden darf oder nicht - die Liste der Entscheidungen ließe sich beliebig verlängern. Diese 16 Frauen und Männer genießen ein Ansehen wie kein zweites Verfassungsorgan. Warum dies so ist, darüber darf gerätselt werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe feiert heute seinen 60. Geburtstag und man darf sicher sein: In den Festreden wird diese Institution einhellig gelobt werden. Dabei kann man zum Beispiel über die Legitimation der Richterinnen und Richter durchaus nachdenken. Die jeweils amtierenden 16 Frauen und Männer werden in einem politischen Kuhhandel ausgewählt. Da im Bundesrat und in einem speziellen Ausschuss des Bundestages die Kandidaten für die Posten in Karlsruhe eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen, werden sie nach dem schönen Motto bestimmt: Stimmst du für meinen Unionskandidaten, dann stimme ich für deinen SPD-Kandidaten. Und da man ja kleinere Koalitionspartner braucht, fallen auch für die Anhänger von FDP und Grünen immer mal wieder Ämter ab. Mit der viel beschworenen richterlichen Unabhängigkeit ist es bei Amtsantritt also nicht so weit her - doch trösten wir uns: Beim Bundesverfassungsgericht handelt es sich eben nicht um ein "normales" oder "höchstes" Gericht. Nein, es handelt sich um ein politisches Gericht, denn die Themen, die es zu behandeln hat - siehe oben - sind nun einmal politisch und da wäre es ein Wunder und auch gar nicht einer Demokratie systemimmanent, wenn diese wichtigen Ämter nicht letztlich doch auch durch und sogar mit Politikern besetzt werden. So strebt zum Beispiel Peter Müller, der Ex-Ministerpräsident des Saarlandes, nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik einen Wechsel nach Karlsruhe an - und wenn die Zeichen nicht trügen, könnte er dieses Ziel auch erreichen. Die höchstrichterlichen Urteile aus Karlsruhe sollte man daher bei allem Respekt vor diesem Verfassungsorgan auch nicht überhöhen. Auch sie sind Menschenwerk, sie künden von persönlichen Meinungen und den Stimmungen des Zeitgeists und sie dürfen, ja sie sollten auch wieder öfter kritisiert und strittig bewertet werden - denn das ist ja das eigentliche Merkmal einer Demokratie. Dabei soll nicht verkannt werden, dass das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahrzehnten durchaus segensreich gewirkt hat. Viele Richter machten sich in ihrer Amtszeit von ihren politischen Protegés unabhängig, ja sie zeigten oft einen durchaus unerwarteten, freien Gestaltungswillen. So hat das Verfassungsgericht in den vergangenen Jahren sich gerade in der Familienpolitik als fortschrittlicher Taktgeber präsentiert und gelegentlich dem Gesetzgeber sogar relativ präzise vorgeschrieben, wie er gefälligst zu agieren hat. Doch genau hier sollten die Richter Selbstbescheidung üben: Es gibt den wichtigen Grundsatz der judicial self-restraint, der richterlichen Selbstbeschränkung. Die Rechtsprechung darf keine Gestaltungsfragen beantworten, die in den originären Bereich der legislativen und exekutiven Staatsgewalt fallen. Letztlich muss schon die Politik bei Achtung der Verfassung die Richtlinien vorgeben. Und wir Wähler haben dann die Chance, diese Politiker weiter zu unterstützen oder abzuwählen. Wenn die Richter sich hier zu sehr einmischen, schränken sie letztlich auch die Rechte der Bürger ein - und diese sind schließlich der oberste Souverän und nicht die 16 Frauen und Männer in Karlsruhe.

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