Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel Mittelbayerische Zeitung Regensburg zu Polen
Regensburg (ots)
Donald Tusk hat für sich, seine Partei und sein Land viel erreicht. Er ist der erste polnische Premierminister seit 1989, der wiedergewählt worden ist. Er hat seinen Parteifreund Bronislaw Komorowski ins Präsidentenamt gehievt, der Tusk unterstützt, statt ständig mit Veto zu drohen wie einst Lech Kaczynski. Nicht zuletzt hat Tusk Polen sicher durch die Weltwirtschaftskrise gesteuert. Das ist ihm gelungen, obwohl ihm mit Jaroslaw Kaczynski seit Jahren ein Kontrahent gegenübersteht, der in keiner Sachfrage zur Zusammenarbeit bereit ist, sondern erbittert Opposition betreibt. Zu seinen Erfolgen also kann man Donald Tusk eigentlich nur gratulieren. Selten aber war die Mahnung, jemand solle sich besser nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, so sehr am Platz wie in diesem Fall. Tusk hat bisher vor allem Politik-Management betrieben. Er hat seine Macht und das Land verwaltet, statt zu gestalten. Das mag mitunter das Beste sein, was ein Regierungschef tun kann. Vor allem in Krisenzeiten können allzu gewagte Entscheidungen viel Schaden anrichten. Auf Dauer reicht es aber nicht, Stabilität zu garantieren. Polen braucht mehr. Beispiel Infrastruktur: Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges gibt es noch immer keine Autobahn, die Berlin mit Warschau verbindet. Und das ist kein Einzelfall. Der Straßenbau in Polen lahmt, viele Bahnstrecken sind dringend sanierungsbedürftig. Tusk ist nicht aus den Startlöchern gekommen. Das aber ist ein Armutszeugnis in einem Wirtschaftswunderland. Ähnlich sieht es im maroden Gesundheitssystem aus. Und mit Blick auf den verkrusteten Arbeitsmarkt gelten die heute 20- bis 30-Jährigen schon jetzt als verlorene Generation. Für eine Regierung, die angetreten ist, Polen zu modernisieren, ist die Bilanz des ersten Kabinetts Tusk enttäuschend. Nun aber ist die Zeit, nach vorn zu schauen. Und da stellt sich vor allem die zukunftsweisende Frage der Euro-Einführung in Polen. Nach seinem Amtsantritt hatte Tusk einen schnellen Beitritt zur Währungsunion angekündigt. Dann brach 2008 die Weltfinanzkrise aus, und den überzeugten Europäer verließ der Mut. Inzwischen ist die Euro-Zone eine einzige Baustelle. Der Zutritt sei deshalb verboten, behauptet Warschau. Doch das sind Ausflüchte. In Wirklichkeit steckt die Angst vor dem Bürgerzorn dahinter. Viele Polen haben nach 20 Jahren permanenter Veränderungen erst einmal genug von revolutionären Neuerungen und wollen ihren Zloty behalten. Der bot dem Land im Übrigen auch die Möglichkeit, in der Weltwirtschaftskrise durch eine Währungsabwertung den Export anzukurbeln und auf Kosten anderer EU-Mitglieder das eigene Wachstum zu stützen. Gleichzeitig nörgelt der polnische Finanzminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit daran herum, dass ihn die Euro-Zonen-Mitglieder nicht zu ihren Beratungen einladen. Selbst schuld, kann man da nur sagen. Ein überzeugender politischer Zukunftsentwurf sieht anders aus als das, was Donald Tusk bislang präsentiert hat. Der Polit-Rebell Janusz Palikot, der bei der Wahl am Sonntag nicht von ungefähr zehn Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, hat den Finger in diese Wunde gelegt. Zieht man bei ihm die Clownerie des Wahlkampfes ab, bleiben ernst zu nehmende Thesen übrig. Er sei immer ein Anhänger einer tiefgreifenden Modernisierung des Landes in allen Lebensbereichen gewesen, sagt Palikot. Zugleich brauche die Gesellschaft aber ein neues Wir-Gefühl, wie es die antikommunistische Freiheitsbewegung Solidarnosc einst verkörperte. Man mag darüber fachsimpeln, wann und warum dieser Gemeinschaftssinn verloren gegangen ist und ob die Radikalreformer der 90er-Jahre daran schuld sind oder der Spalter Kaczynski. Fakt ist: Donald Tusk ist es nicht gelungen, diesen Trend umzukehren. Deshalb auch ist die gegenwärtige Stabilität in Polen kaum mehr als eine optische Täuschung. Der Premier hat angekündigt, die zweite Amtsperiode werde seine letzte sein. Das gibt ihm die Chance, endlich mutig zu handeln. Es ist höchste Zeit.
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