Mittelbayerische Zeitung: Der Krieg ist verloren Die jüngsten Vorfälle in Afghanistan spielen den Taliban in die Hände. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
US-Soldaten urinieren auf die Leichen von Afghanen. Die Bilder gehen um die Welt. Kinder, unreif, seien es letztlich gewesen, so lautet die Entschuldigung aus Washington. Kurz darauf verbrennen US-Soldaten den Koran, zufällig, unbeabsichtigt, wie es heißt. Am Wochenende nun erschießt ein US-Soldat 16 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, verbrennt die Leichen. Ein Einzeltäter. Fragt sich nur, wen die US-Militärs mit diesen Beschwichtigungen beruhigen wollen - die Afghanen oder sich selbst? Schließlich waren es US-Soldaten, weder Kinder, noch Einzeltäter, die 2010 Jagd auf unschuldige Afghanen machten. Eine "unglückliche Verkettung schrecklicher Fälle" könnte man die Ereignisse vielleicht noch nennen. Aber auch das taugt nicht mehr als Entschuldigung. Der Krieg am Hindukusch ist verloren. Spätestens jetzt. Militärisch war der Konflikt in Afghanistan nie zu gewinnen. Die Taliban sind keine Armee, die geschlagen werden kann. Das ist und bleibt das Grundproblem des Einsatzes. Eine Allianz konventioneller Armeen kämpft gegen eine unkonventionelle Ansammlung von Wiederständlern, die ihre Ideologie eint, und deren Ressourcen nahezu unerschöpflich ist. Aus dem Nachbarland Pakistan, aus Koranschulen rekrutiert sich eine Flut von jungen Menschen, die ihr Land von den "Besatzern" befreit sehen wollen - das ist so etwas wie eine Grundkonstante der jüngeren afghanischen Geschichte geworden. Dagegen wirken Waffen alleine nicht. Umso richtiger war es, einen Kampf um die Herzen der Afghanen zu fordern, zu zeigen, dass ihnen diesmal die Soldaten nicht ihr Land nehmen, sondern ihnen im Gegenteil eine Zukunft geben wollen - und das dieser Zukunft die Taliban im Wege stehen. Das hat auch eine Zeit lang gut funktioniert. Die Taliban wurden verjagt, ihre militärische Macht gebrochen. Es gibt eine moderne Verfassung, die es möglich macht, dass unter den 249 Parlamentarierin 69 Frauen zu finden sind - und das in einem islamischen Land. Aber es ist Krieg in Afghanistan. Und Kriege fordern Opfer. Jeder Zivilist, der im Kugelhagel der "Befreier" fiel, war einer zu viel - und jeder Zivilist, der von den westlichen Soldaten bewusst getötet wurde, war ein Punktsieg für die Taliban. Es steht zu befürchten, dass die jüngsten Vorfälle die Tropfen sind, die das Fass zum Überlaufen bringen werden. Das afghanische Parlament hat gestern klargestellt, dass es keine weiteren Vorfälle wie das vom Wochenende tolerieren will. Und auch in den USA mehren sich die Stimmen, die sagen, dass es höchste Zeit ist, das Land zu verlassen. Die Taliban als ideologischer Kopf einer mittlerweile sehr breit angelegten Widerstandsbewegung in Afghanistan waren lange in der Defensive. Ihre Position war aufgrund der Erfolge im Land - vor allem der humanitären - geschwächt. Es war sogar möglich geworden, sie zu Gesprächen über die Zeit nach dem Truppenabzug zu nötigen. Doch das dürfte jetzt vorbei sein. Eine weitere Präsenz der westlichen Truppen in Afghanistan kann ihnen sogar recht sein: Jeder tote Afghane, der durch die Hand der Nato stirbt, liefert ihnen eine Rechtfertigung mehr, den bewaffneten Kampf fortzusetzen. Sicher: Kriege fordern immer unschuldige Opfer. Das ist die grausame Realität und die Wahrheit, die niemand hören will, auch in Deutschland nicht. Aber je länger Kriege dauern, desto höher ist die Chance, dass die Zahlen aufgerechnet werden. Diesen Punkt hat Afghanistan bereits überschritten. Der Krieg gegen die Taliban war nie zu gewinnen. Aber er war zu verlieren. Nicht auf militärischem Weg. Sondern in dem Maße, wie der Kampf um die Herzen der Afghanen verloren wurde. Was nie geschehen durfte, ist nun doch eingetreten.
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