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Mittelbayerische Zeitung: Erlesenes Vergnügen Die Leipziger Buchmesse steuert wieder auf Besucherrekorde zu. Von Lesemüdigkeit ist keine Spur zu sehen. Leitartikel von Thomas Dietz

Regensburg (ots)

Eine schöne, beispielgebende Geschichte trug sich am Vorabend der Buchmesse zu, in einer Gose-Kneipe an der Thomaskirche. Gose ist eine gewöhnungsbedürftige, obergärige Leipziger Bierspezialität, sie schmeckt ungefähr so wie Berliner Weiße ohne Schuss. Zwei Ehepaare, ein jüngeres und ein älteres, saßen nebeneinander und kamen ins Gespräch. Der jüngere Herr sagte: "Wir kaufen jedes Jahr 30 bis 50 Bücher, lesen sie und reden anschließend darüber." Die ältere Frau: "Ach, sind Sie Lehrer!?" "Nein, wir haben eine Landwirtschaft." Die ältere Frau: "Wir waren kürzlich in so einer großen Buchhandlung. Mein Gott, da hätte man ja jedes zweite Buch kaufen mögen. Aber wir schaffen es nicht, zu lesen. Wir schlafen immer ein." Woraufhin der jüngere Mann sich erkundigte, was die beiden von Berufs wegen machten. Sie antwortete: "Wir sind schon Rentner ..." Lesen als Bedürfnis, das mit dem Drang nach Erkenntnis einhergeht, als ewige Neugierde, um immerfort Unbekanntes zu erkunden, sich selbst oder andere zu erkennen, oder wiederzuerkennen. Es soll Menschen geben, die dem Drang, ein zugeklapptes Buch zu öffnen, nicht widerstehen können. Längst gibt es den Studiengang "Buchwissenschaft" (z. B. in Leipzig oder in München), der auf dieser Lese-Messe mit einem großen Gemeinschaftsstand vertreten ist. Hier kümmert man sich auch um die Frage, warum einer liest oder es lieber bleiben lässt. Dabei kam man zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie bei den sattsam bekannten Pisa-Studien: Dass nämlich die Lese-Sozialisation das A & O ist. Lesen die Eltern, gehört Lektüre zur Alltagskultur, wird darüber gesprochen, liest man auch in der Peergroup (Freunde, Clique, Gleichaltrige), liest der Nachwuchs auch. Und wenn die Freunde überwiegend draußen sind und Sport machen, wird weniger gelesen, wie übrigens auch in der Nazizeit weniger gelesen wurde, weil die Jugendlichen viel mehr draußen sein mussten, um ihre Körperertüchtigung voranzutreiben. Na ja, und die besten Sachen waren eh verboten. Dass heute durch die Bank weniger gelesen würde als früher, ist natürlich "ein typischer Pädagogen-Schmátz" (O-Ton des Regensburger Lehrers Eginhard König). Es wird nur anders gelesen als früher. Das E-Book, das auch bei dieser Buchmesse immer und überall Thema ist, hat durchaus eine lesefördernde Wirkung, mag man sich nun darüber ärgern oder nicht. So berichtet die Verlegerin und Mathematikerin Gisela Pekrul ("Edition digital") von ihrem achtjährigen Enkel Tjark, der ihr immer sofort das iPad "wegzwackt", um in seinen Kinderbüchern weiterzulesen. Auch viele, längst vergriffene DDR-Bücher hat sie im Angebot: "Die werden runtergeladen wie wild." Anders sind die gute Stimmung und der erfolgreiche Schwung dieser Buchmesse kaum zu erklären, bei der sich ganze Schulklassen von Stand zu Stand schmökern, hören oder downloaden. Von den 100 000 Büchern sind 20 000 Neuerscheinungen, 2071 Verlage und 2780 Autoren zogen 64 000 Besucher (Halbzeitbilanz; im Vorjahr: 62 000) auf die wahrscheinlich längsten Buchparty Europas: "Das Interesse des Publikums am Buch und buchverwandten oder digitalen Medien ist größer denn je", freut sich die Messeleitung. Und wo immer es in Leipzig einen geeigneten Raum gibt, findet darin auch eine Autorenlesung oder -Diskussion statt, es sind mehr als 2700! Und wenn man die meist proppevollen Säle, Flure, Theater, Cafés oder Buchhandlungen betritt, wenn das Gelächter aufrauscht oder alte Damen still wissend nicken, wenn plötzlich mitgeschrieben wird, sich alte Leutchen auf den Teppich setzen, um ja mit dabei zu sein, dann spürt jeder: Die Magie des Buches ist stark wie eh und je - ob auf Papier oder auf was anderem ist völlig wurscht.

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