Mittelbayerische Zeitung: Gespendetes Leben Bundestag ebnet sinnvoller Neuregelung zur Organspende den Weg - eine Sternstunde des Parlaments. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Wenn es um Fragen des Lebens geht, dann rafft sich der sonst ziemlich in Fraktionsgrenzen erstarrte Deutsche Bundestag immer mal wieder zu Sternstunden, zu erstaunlich emotional berührenden Debatten auf. Gestern Morgen war so eine Stunde. Die Abgeordneten haben eine Neuregelung zur Organspende auf den Weg gebracht, die helfen kann, mehr Leben zu retten. Dabei haben sie die eigene, selbstbewusste Entscheidung des potenziellen Organspenders und der Spenderin - und das sind wir eigentlich alle - in den Mittelpunkt gestellt. Chapeau, mit dieser Entscheidungslösung haben die Abgeordneten quer über alle Fraktionen hinweg einer sinnvollen, einer guten Regelung den Weg geebnet. Sie haben sich gewissermaßen als eine Art Lebensretter betätigt. Vom eigentlichen Gegenstand abgesehen, macht soviel Gemeinsamkeit von sonst heftig widerstreitenden Abgeordneten in Fragen des Lebens Mut. Bitte mehr davon! Es geschieht auch nicht alle Tage, dass sich Politiker in die Tiefe ihres Herzens blicken lassen. Als der sonst eher raubeinige Grüne Jürgen Trittin vom Verlust seiner Lebensgefährtin bei einem Unfall sprach, herrschte absolute Stille. Als Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier davon berichtete, wie er seiner Ehefrau eine Niere spendete, herrschte teilnahmsvolle Ruhe. Auch der sonst um keine Attacke auf den Gegner verlegene Unions-Fraktionschef Volker Kauder plädierte in ruhigen Worten für eine höchst persönliche Entscheidung jedes Einzelnen. Dass Organspenden hierzulande neu geregelt werden müssen, fordern Mediziner bereits seit vielen Jahren. Während jedes Jahr über Zehntausend Patienten sehnsüchtig auf ein lebensverlängerndes Organ warten, findet sich nur für jeden Zehnten von ihnen auch wirklich eines. Für die meisten, für die es kein geeignetes Spenderorgan gibt, bedeutet das den Tod. Eine grausame, eine unerbittliche Logik. Sie kann nur durchbrochen werden, wenn sich weit mehr Menschen für den Fall ihres Todes für das Spenden von Organen entscheiden. Das ist eine zutiefst moralische, eine fordernde Frage. Vielleicht kann der Gedanke, dass ein Teil seines eigenen Körpers, in einem anderen gewissermaßen fortleben kann, die Entscheidung erleichtern. Eine übergroße Mehrheit der Abgeordneten hat sich gestern für die vorliegende Entscheidungslösung ausgesprochen. Andere Vorschläge setzten sich nicht durch. Und die Anhänger der sogenannten Widerspruchslösung waren klar in der Minderheit. Sie gilt etwa in Österreich, Spanien, Portugal oder Luxemburg. Dort dürfen Organe von den Verstorbenen entnommen werden, wenn die zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen haben. Dabei kann die jetzt auf den Weg gebrachte Regelung freilich nicht alle Wechselfälle des Lebens - und eben des Sterbens - berücksichtigen. Wichtig ist die Information und die Beschäftigung mit diesem Thema, das für viele immer noch ein Tabu ist. Das geht zuerst natürlich Ärzte und Seelsorger an, aber nicht nur sie. Im Sommer werden nun die ersten Briefe von den Krankenkassen an ihre Mitglieder verschickt. Darin steht die Frage: Würden Sie spenden? Man kann den Brief wegwerfen, sich vor einer Entscheidung drücken. Aber man kann sich auch bewusst für oder gegen eine Organspende entscheiden. Es geht um geschenktes Leben. Eine schwere und eine leichte Entscheidung.
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