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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur weiter andauernden Haft der ukrainischen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko

Regensburg (ots)

Ein Spiel ohne Sieger

Nicht nur Janukowitsch hat sich im Fall Timoschenko verzockt. Auch Deutschland macht keine gute Figur.

Im Zentrum von Kiew zeigt ein digitaler Countdown an, wie viele Tage noch bis zur Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine verbleiben. Am Mittwoch waren es 65. Ein paar hundert Meter weiter haben Anhänger der inhaftierten Julia Timoschenko ebenfalls eine Anzeigetafel installiert. Dort notieren sie per Hand, seit wie vielen Tagen die Oppositionsführerin bereits im Gefängnis sitzt. Am Mittwoch waren es 213. Zwischen der nahenden EM und der andauernden Haft gibt es eine Verbindung. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch möchte sein Land im Sommer als weltoffenen Teil Europas präsentieren. Seit aber Timoschenko hinter Gittern sitzt, weil sie einst als Regierungschefin ihr Amt missbraucht haben soll, nimmt niemand mehr Janukowitsch seine verbalen Bekenntnisse zu Freiheit und Demokratie ab. Der Schuldspruch gegen seine Widersacherin gilt im Westen als politisch gesteuerter Akt einer Rachejustiz. Nun jedoch, rund zwei Monate vor der EM, signalisiert Janukowitsch seinen europäischen Kritikern Entgegenkommen. Timoschenko, die an starken Rückenschmerzen leidet, darf das Gefängnis für eine Behandlung verlassen. Spekuliert wird zudem über eine Operation in Deutschland. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Volte des Präsidenten aber als taktisches Spiel. Es hat einen simplen Handel gegeben. Timoschenko wird das Leben hinter Gittern erleichtert, und Janukowitsch kann sich wieder europäisch geben. Am vergangenen Freitag paraphierte die EU nicht von ungefähr das im Dezember auf Eis gelegte Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Doch wie geht es weiter? Eine Behandlung Timoschenkos in Deutschland ist unwahrscheinlich. Janukowitschs Mann fürs Grobe, der stellvertretende Generalstaatsanwalt Renat Kusmin, hat bereits darauf hingewiesen, dass es keine "Lex Timoschenko" geben wird. In den Gefängnissen gebe es genug andere Insassen mit Rückenschmerzen, die nicht im Ausland behandelt werden. Möglich ist, dass westliche Ärzte Timoschenko operieren - aber in der Ukraine. Derweil bereitet die Justiz weitere Verfahren gegen die Oppositionsführerin vor, um sie dauerhaft aus dem Rennen zu nehmen. Soeben übergab der Inlandsgeheimdienst einen Fall angeblicher Steuerhinterziehung aus den 90er-Jahren einem Gericht. Der Prozess beginnt in zwei Wochen. Unabhängige Beobachter sind sich einig, dass es sich auch dabei um einen Akt politischer Willkürjustiz handelt. Timoschenko wird nicht so bald freikommen. Janukowitsch fürchtet sie mehr denn je. Die Oppositionsführerin hat durch das vermeintliche Martyrium ihrer Haft deutlich an Stärke gewonnen. In Freiheit wäre sie für die Macht des Präsidenten eine existenzielle Bedrohung. Die Beziehungen zur EU bleiben deshalb auf mittlere Sicht blockiert. So gesehen stellt sich die Frage, ob sich Janukowitsch bei seinem taktischen Spielchen nicht längst verzockt hat. Vor einem halben Jahr, direkt vor dem Urteil gegen Timoschenko, hatte der Präsident seinen EU-Partnern in die Hand versprochen, die 51-Jährige nach einem symbolischen Schuldspruch zu amnestieren. Er hat sein Wort nicht gehalten. Im eigenen Lager wollte Janukowitsch nicht als Schwächling dastehen, und in Timoschenko sah er ein Faustpfand für die weiteren Verhandlungen mit Brüssel. Dabei hat er nicht bedacht, dass es sich die EU nicht erlauben kann und will, ein Assoziierungsabkommen mit einem Land in Kraft zu setzen, dessen Regierung permanent rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze verletzt. Aber auch die westlichen Staatenlenker haben bei all dem keine besonders gute Figur abgegeben. Insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel steht dieser Tage düpiert da, nachdem Kiew die Verhandlungen mit Berlin über eine mögliche Ausreise Timoschenkos publik gemacht hat. Es hinterlässt den Eindruck von Dilettantismus, wenn eine Regierung öffentlich über ihre Geheimdiplomatie plaudert, wie Merkels Sprecher dies tat. Bei diesem Spiel, so hat es den Anschein, gibt es nur Verlierer.

von Ulrich Krökel, MZ

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