Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum FDP-Parteitag in Karlsruhe
Regensburg (ots)
Der letzte Rettungsanker
Die FDP schwört sich auf die nächsten Wahlen ein. Gehen die verloren, müsste Philipp Rösler gehen.
Die wankende FDP hat in Karlsruhe am Wochenende einen Parteitag abgehalten, bei dem sozusagen die letzten Rettungsanker ausgeworfen wurden. Sie schwor sich auf die wegweisenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Anfang Mai ein - und beschwor, fast rührend, das Wundermittel Geschlossenheit. Die Liberalen geben sich als Mutmacher in eigener Sache, weil sie ihrer Sache nicht mehr sicher sind, weil sie zuletzt von den Wählern abgestraft wurden, weil sie ihr inhaltliches und ihr Führungsproblem nicht lösen können oder wollen. Vielleicht noch nicht. Das Gegrummel über den "netten" Herrn Rösler, der noch vor einem Jahr in Rostock bejubelt wurde, aber nun den Absturz nicht bremsen konnte, ist vorerst in die Hinterzimmer verbannt worden. Philipp Rösler wurde beklatscht, die beiden Wahlkämpfer Christian Lindner und Wolfgang Kubicki hingegen bejubelt. Hinzu gesellte sich mit einer gleichfalls fulminanten Rede der alt gediente Fraktionschef Rainer Brüderle. Die Gewichte innerhalb der FDP haben sich binnen eines Jahres personell deutlich verschoben. Nicht mehr die Boygroup mit Philipp Rösler, Daniel Bahr und Christian Lindner bestimmt, wo es in der Nach-Westerwelle-Ära lang geht, sondern Lindner, Kubicki und Brüderle. Rösler scheint nur noch ein Parteichef auf Abruf. Gebraucht wird der Niedersachse wohl vor allem als Blitzableiter für allen Unmut, wenn die beiden Ladtagswahlen wieder im Desaster enden wollten. So wie zuvor schon in Berlin oder dem Saarland. Kaum einer auf dem Parteitag konnte sich vorstellen, dass die in ihren Grundfesten verunsicherte FDP noch mit Rösler in den Bundestagswahlkampf 2013 ziehen würde. Da hilft kein Wettern gegen die allgegenwärtige Sozialdemokratisierung der anderen Parteien. Da hilft kein Reklamieren als einzige Freiheitspartei. Liberalität, so scheint es, hat in schwierigen Zeiten nicht unbedingt Konjunktur und sie wird nicht mehr in erster Linie mit den drei Buchstaben FDP in Verbindung gebracht. Die Grünen vertreten Bürgerrechte vehementer und die Piraten streiten besser und locker-flockiger für die Freiheit im weltweiten Datennetz. Vor der FDP liegen noch schwere Zeiten. Egal, ob sie es wieder in die Landtage von Kiel und Düsseldorf schaffen sollte oder nicht. Sie muss beweisen, dass sie die Mitte nicht nur rhetorisch, sondern auch wirklich politisch besetzen kann. Das neue Karlsruher Grundsatzprogramm hilft der Partei dabei nicht wirklich weiter. Röslers Wachstums-Tamtam soll das Mehr-Netto-vom-Brutto-Gedröhn von Westerwelle verdrängen. Besser, schlüssiger, attraktiver ist es aber auch nicht. Und dass Rösler in schierer Verzweiflung sein Heil in Attacken gegen die Union suchen will, verheißt für die Koalition nichts Gutes. Er hat Merkel mit dem Gauck-Coup über den Tisch gezogen und die liberalen Wirtschaftsminister sind bei Staatshilfen für die Schlecker-Frauen hart geblieben. Doch auch beim Kampf gegen den Wucher bei den Spritpreisen hat Rösler nur ein stumpfes Schwert in der Hand. Mit Merkel regieren und gleichzeitig gegen sie opponieren, das ist wie Bremsen und Gasgeben zugleich. Der Mutmach-Parteitag von Karlsruhe könnte vor allem die eigenen Reihen besänftigt und etwas geschlossen haben. Trotzdem steht die FDP immer noch am politischen Abgrund.
Von Reinhard Zweigler, MZ
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell