Mittelbayerische Zeitung: Keine Angst vorm Drachen
Regensburg (ots)
Von Christine Hochreiter
Haben Sie schon einmal von Nikolai Kondratjew gehört? Der russische Wissenschaftler ersann in den 1920er Jahren eine Theorie zur zyklischen Wirtschaftsentwicklung: Seine langen Wellen der Konjunktur sind inzwischen als "Kondratjew-Zyklen" bekannt. Und auch wenn die meisten Ökonomen deren Existenz verneinen, stimmt der Blick zur Hannover Messe nachdenklich. Auf der weltgrößten Industrieschau präsentieren fast 5000 Aussteller Neuheiten aus den Schlüsselbranchen Maschinenbau und Elektrotechnik. Das Leitthema ist aber die als "greentelligence" bezeichnete intelligente Umwelttechnik. Die Verfechter der Kondratjew-Theorie haben bislang fünf Zyklen ausgemacht, die jeweils durch bahnbrechende Erfindungen in Gang gesetzt wurden: Die Dampfmaschine trieb die industrielle Massenfertigung an, die Eisenbahn das Transportwesen, die Elektrizität den Produktionsprozess und das Auto die Mobilität. Danach revolutionierten der Computer und das Internet Kommunikation und Informationsfluss. Von Hannover scheint nun ein Signal auszugehen, dass das grüne Zeitalter der Nachhaltigkeit angebrochen ist. Dies bestätigt auch das Capital-Elite-Panel: Über drei Viertel der deutschen Top-Entscheider rechnen damit, dass der nächste lang anhaltende Wirtschaftszyklus vom Bemühen um mehr Nachhaltigkeit befeuert wird. Schließlich finden Innovationen in der Regel in den Bereichen statt, in denen es die größten Defizite gibt. Aktuell sind dies nun einmal Rohstoffe, Gesundheit und eine intakte Natur. Die Verstädterung in den Schwellenländern geht mit massiven Problemen einher. Gerade in China sind die Probleme gewaltig: Umweltverschmutzung, Verkehrsinfarkt, Versorgungslücken. Für die deutsche Industrie und Umwelttechnik ist die Volksrepublik ein Mega-Markt. Doch der Trend geht nicht mehr in nur eine Richtung. Von der Festlegung auf die Rolle als verlängerte Werkbank des Westens hat sich der Ferne Osten verabschiedet. In Hannover zeigen 500 chinesische Firmen Flagge - und offerieren technologische Lösungen für die Zukunftsprobleme der Welt. Dennoch spricht viel dafür, dass wir uns (noch) nicht davor fürchten müssen, vom Drachen aufgefressen zu werden. Wir sollten die Bewegungen des wendigen und schlauen Tieres aber beobachten - sofern uns der Drache überhaupt alles zeigt, was er kann. Deutschland hat ausgezeichnete Chancen, mit seinem Know-how dem neuen Nachhaltigkeitszyklus seinen Stempel aufzudrücken. Ein wichtiger Pluspunkt gegenüber Konkurrenten ist zweifelsohne die Existenz eines gesunden produzierenden Gewerbes mit starken Branchen und Marken mit dem Gütesiegel "made in Germany". Darüber hinaus hat die Bundesrepublik als einziger großer Industriestaat in den vergangenen Jahren die Ausgaben für Forschung und Entwicklung hochgefahren. Und Experten sind sich einig, dass die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft sowie die damit verbundene Innovationskraft einen weiteren Wettbewerbsvorteil darstellt. Doch Überheblichkeit ist fehl am Platz: Deutschland darf sich nicht auf Erfolgen ausruhen. Um als ebenbürtiger Handelspartner wahrgenommen zu werden, ist auch Peking gefordert. Die Regierung sollte endlich faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Dies gilt für den Marktzugang, öffentliche Ausschreibungen, einen verbesserten Schutz des geistigen Eigentums - und vor allem den Abschied von überzogenen Subventionen wie etwa im Bereich Solar. Dann funktioniert Wirtschaft, wie es sein soll, in zwei Richtungen.
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