Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu NRW/Bund von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Interessanterweise gleichen sich die Szenarien. 2010 wurde Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen abgewählt. Zwar nicht klar, so dass erst nach langem Hin und Her eine neue Regierung zustande kam. Doch es war dieselbe Koalition, die jetzt in Düsseldorf regieren wird: Rot-Grün. Auch in vielerlei anderer Hinsicht ist die Ausgangslage sehr ähnlich. 2010 war die Stimmungslage in der schwarz-gelben Bundesregierung alles andere als auf dem Höhepunkt. Union und FDP stritten um Steuererhöhungen und Gesundheitsreform, vieles wurde vertagt auf die Zeit nach der NRW-Wahl. Die Steuersenkung wartet bis heute auf ihre Umsetzung, weil sie keine Mehrheit im Bundesrat bekommt. Die ging verloren, als 2010 Rot-Grün NRW gewann. Heute gibt es ebenfalls viel Konfliktpotenzial innerhalb der Koalition aus Union und FDP. CSU-Chef Horst Seehofer hat am Wochenende laut gepoltert, weil sein Lieblingsprojekt Betreuungsgeld immer noch nicht umgesetzt ist und weil für ihn nicht entschlossen genug regiert wird. Zudem tritt er nach dem Absturz des CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen ordentlich nach und stellt dessen Fähigkeit infrage, das Großprojekt Energiewende umsetzen zu können. Das alles ist nichts Neues. Dennoch muss es die Regierungskoalition in Berlin aufhorchen lassen. Zu allererst die CDU. Angela Merkel kann zwar die Schlappe für ihre Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland bequem auf den einstigen Kronprinzen Röttgen abwälzen. Fragen wird sie sich dennoch stellen lassen müssen. Etwa, warum es Schwarz-Gelb seit der Bundestagswahl nicht mehr gelingt, Regierungen zu bilden, während eine FDP, die man todgeweiht glaubte, eine Wiedergeburt erlebt und an Rhein und Ruhr sogar noch Stimmen im Vergleich zu 2010 dazu gewinnen konnte. Die CDU-Vorsitzende wird sich auch fragen lassen müssen, wie es sein kann, dass Röttgen, der ihr Ziehsohn war, derart schlecht auftreten konnte - und derart schlecht abschnitt. In Seehofers Stichelei steckt auch ein Quäntchen Wahrheit: Wenn Röttgen es nicht schafft, eine Wahl zu gewinnen oder annähernd das Wahlergebnis von 2010 zu halten, wie soll er es dann fertigbringen, gegen alle Widerstände das Mammutprojekt Energiewende durchzusetzen? Noch etwas sollte der Kanzlerinnen-CDU zu denken geben: 2010 verlor die Partei nach der NRW-Wahl mit Jürgen Rüttgers nicht nur einen CDU-Ministerpräsidenten, sondern auch einen profilierten Kopf. Im selben Jahr, nur wenig später, verließ ein weiterer die aktive Politik: Roland Koch. Und Christian Wulff wurde aus der niedersächsischen Staatskanzlei ins Schloss Bellevue befördert - womit sich Merkel ganz auch eines parteiinternen Konkurrenten entledigte. Aber sie blieb danach alleine zurück. Röttgen hatte seine Chance zur Profilierung und hat sie verspielt. Damit ist Merkel erneut allein auf weiter Flur. Das bringt sie vielleicht in die angenehme Situation, sich keiner Debatte über ihre Führung stellen zu müssen. Wahlen gewinnen sich aber nicht von alleine. Dazu braucht es profilierte Gesichter. Das alles aber muss Merkel noch nicht schrecken. Bislang ist Rot-Grün nur eine Vision, die auf Bundesebene noch keine Mehrheit hat. Die hat die Kanzlerin zwar auch nicht, selbst wenn die FDP bewiesen hat, dass sie allen Unkenrufen zum Trotz nicht in der Versenkung verschwinden wird. Die SPD hat es bislang noch nicht einmal geschafft klarzustellen, wer denn gegen Merkel antreten wird. Zudem machen die Sozialdemokraten gerade den Fehler, sich auf ein Nicht-Antreten von Hannelore Kraft, der strahlenden Siegerin in Düsseldorf, festzulegen. Die Genossen werden Probleme haben zu erklären, warum die erfolgreichste SPD-Politikerin nicht gegen die erfolgreiche und beliebteste deutsche Politikerin in den Ring steigen wird. NRW 2012 wird Merkel, ebenso wie 2010, ein paar unangenehme Debatten bescheren - und den Bürgern ein paar Wochen, in denen viel spekuliert und dann weitergewurstelt wird. Aussagekraft für den Bund hat die Wahl nicht. Zumindest noch nicht.
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