Mittelbayerische Zeitung: Aus - aber nicht ad acta
Regensburg (ots)
Von Holger Schellkopf
Wenn alles gut geht, dann hat uns das EU-Parlament mit seinem Nein zu Acta vor allem zwei Dinge gesagt: Wir haben verstanden. Wir haben gelernt. Es wäre ein versöhnlicher, sogar hoffnungsvoller Abschluss einer Auseinandersetzung, die auf beiden Seiten von Ängsten, Missverständnissen geprägt und am Ende fast hysterisch geführt wurde. Versöhnlich, weil zumindest die Parlamentarier in Europa mehrheitlich erkannt haben, dass die Augen-zu-und-durch-Methode bei Entscheidungen dieser Tragweite keine Zukunft mehr haben darf. Schon lange ist selbst den Acta-Befürwortern klar, dass dieses Abkommen inhaltlich und in seiner Entstehungsweise nur so von Fehlern strotzt. Es war von Anfang an mehr als unsinnig, den Umgang mit Produktfälschungen und die Fragen des digitalen Urheberrechts in ein einziges Abkommen packen zu wollen. Ersteres ist im Grunde ausschließlich bei analogen Produkten ein massives Problem und nebenbei erwähnt auch mit erheblichen Risiken für Verbraucher behaftet. Es hätte also keinen Grund gegeben, damit nach bewährten Methoden umzugehen. Es gibt aber viele Gründe dafür, dass genau diese Denkmuster aus einer vordigitalen Welt für sinnvolle Regelungen im digitalen Zeitalter völlig untauglich sind. Hier muss ein Weg gefunden werden, der die zweifellos zu akzeptierenden Ansprüche von Rechteinhabern und Verwertern ebenso berücksichtigt wie die fundamentalen Grundrechte aktiver Bürger in einer digitalen Welt. Genau das hat Acta nicht getan. Durch die unsinnige Verknüpfung zweier unterschiedlicher Themenbereiche wurde das Abkommen ad absurdum geführt. Gleichzeitig haben sich seine Macher durch ihre Hinterzimmermauschelei bei der Formulierung mindestens dem Verdacht ausgesetzt, ein Überwachungssystem auf den Weg zu bringen, dessen tatsächliche Konsequenzen niemand absehen könnte. Da hilft es auch nichts, wenn die Acta-Befürworter jetzt lamentieren all die bösen Dingen hätten gar nicht im Abkommen gestanden. Stimmt sogar, allerdings wurden sie darin auch nicht explizit ausgeschlossen. Dieses Abkommen war von Anfang an handwerklich schlecht gemacht - entweder aus Unfähigkeit oder aus Hinterlist. In beiden Fällen ist es gut, dass Acta vorerst gestoppt wurde. Vorerst? Ja, vorerst, denn schon vor dem Nein des Parlaments hat Handelskommissar De Gucht angekündigt, ein verkleidetes Acta abermals zur Abstimmung stellen zu wollen. Das ist eine Missachtung des Parlaments und es ist vor allem ein Zeichen dafür, dass De Gucht nur wenig verstanden hat. Er hat nicht kapiert, dass die Massenproteste gegen Acta eines bewiesen haben: Das Internet ist kein virtueller Raum - es ist der digitale Teil des Lebens, der für immer mehr Menschen genauso selbstverständlich wird wie das analoge Gegenstück. Das De-Gucht-Syndrom hat auch Parlamentarier befallen, die sich vor einer Abstimmung drücken und die Acta-Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof überlassen wollten. Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung. Schließlich ist es mit Protesten und Petitionen am Ende gelungen, dieses seltsame Abkommen zu Fall zu bringen. Jetzt muss es darum gehen, den eigentlichen Auftrag umzusetzen. Es müssen nachvollziehbare und praktikable Regelungen entwickelt werden, die den Kreativen und deren Finanziers auch inmitten des digitalen Wandels eine wirtschaftliche Basis sichern, ohne die Nutzer ihrer Chancen und Möglichkeiten zu berauben. Wenn es gleichzeitig gelingt, diese Regelungen für alle Beteiligten transparent zu entwickeln, dann - und nur dann - war der Beschluss des EU-Parlaments tatsächlich der Sieg einer modernen Demokratie.
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