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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Bundesverfassungsgericht: "Die Grenzen sind erreicht"

Regensburg (ots)

Diesmal geht es um weit mehr als die Frage, ob wir die Griechen retten, oder die spanischen Banken stützen. Inzwischen geht es um Entscheidungen, für die unsere Nachfahren uns entweder verfluchen oder bewundern werden. Alle Politiker, aber auch die Finanzjongleure blicken deshalb seit gestern gebannt nach Karlsruhe. Denn die Richter in den Roten Roben stehen vor der wichtigsten Verhandlung ihrer Geschichte. Schon die vordergründige Frage, über die die obersten Verfassungshüter entscheiden müssen, besitzt größte Tragweite - nämlich, ob die jüngst beschlossenen Maßnahmen zur Euro-Rettung überhaupt in Kraft treten können. Doch vor allem müssen die obersten Richter abwägen, ob wir künftig mehr Europa, dafür aber weniger Deutschland bekommen sollen. Welch enorme Last auf Karlsruhe liegt, verdeutlicht die politische Stimmungsmache. Den Mächtigen schmeckt es nicht, dass ihnen die Richter in ihre Arbeit hineinregieren. Noch nie wurde ein derart hoher Druck von so vielen Seiten auf die Verfassungshüter ausgeübt. Naturgemäß gehört der Versuch der Einflussnahme zum politischen Spiel. Doch was im Vorfeld der Verhandlungen zu hören war, grenzt an Richter-Beleidigung. Die Palette reichte von Belehrungen nach dem Motto: "Die werden es schon richtig machen" bis zum Versuch, den Top-Juristen die Kompetenz in Sachen Europa abzusprechen. Damit hat die Politik eine Grenze überschritten. Denn sie spielt mit dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts. Die vorauseilende Richter-Schelte, noch ehe die Verhandlung begonnen hatte, macht klar, wie sehr die Nerven blankliegen. Würden die Verfassungsrichter die Gesetze zum Fiskalpakt und zum ESM kassieren, müssten die Euro-Retter wieder ganz von vorne anfangen. Was für verheerende Folgen das an den Finanzmärkten hätte, lässt sich für jeden leicht ausmalen, der die Folgen der Lehman-Pleite studiert hat. Auch den Richtern ist der damalige Finanzcrash natürlich geläufig. Die kühle Sachlichkeit, die sich Gerichtspräsident Andreas Voßkule angesichts dieses Drucks bewahrt, ist ebenso wohltuend wie seine Feststellung, dass die Verfassung auch in der Krise gilt. Der Zweck - in diesem Fall die Euro-Rettung - heiligt also nicht alle Mittel - in diesem Fall womöglich die Abtretung des Haushaltsrechts vom Bundestag an die EU-Krisenmanager. Diese Aussage bedeutet natürlich noch keine Vorfestlegung in der Sache auf die Seite der Kläger. Bereits bei vergangenen Entscheidungen haben die Verfassungsrichter weise austariert zwischen dem, was mit dem Grundgesetz vereinbar ist und politischen Zwängen, die aus einer höheren Staatsräson heraus entstehen. Doch Voßkuhle legte mit seiner Äußerung den Finger in die Wunde: Die Euro-Retter beginnen damit, die Verfassung überzustrapazieren. Die Frage, ob und wieviel Souveränität Deutschland an Europa abgibt, werden die Richter zwar nicht selbst entscheiden. Aber sie haben sie der Bundesregierung und dem Gesetzgeber längst als Hausaufgabe gestellt. Der große Webfehler der Gemeinschaftswährung liegt letztlich darin, dass 17 Regierungen und 17 Finanzminister in verschiedene Richtungen zerren. Will man den unendlichen Kreislauf von Krisengipfeln durchbrechen, bei denen nur an Symptomen herumgedoktert wird, wird man in Zukunft um die große Frage nicht herumkommen: Mehr Europa, weniger Nationalstaat? Doch hier stößt das Grundgesetz an seine Grenzen. Einerseits fordert es die Bundesrepublik dazu auf, bei der Verwirklichung eines vereinten Europas mitzuwirken. Andererseits verbietet es grundsätzliche Änderungen am Verfassungskern - der bundesstaatlichen und parlamentarischen Demokratie. Als Schlupfloch hält das Grundgesetz die Möglichkeit eines Verfassungsreferendums bereit. Es ist kein Zufall, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble kürzlich die Diskussion über eine Volksabstimmung eröffnete. Das sollte die Regierung aber nicht nur als Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Karlsruhe verstehen. Wer ein Europa will, das nicht als Diktatur einer Elite wahrgenommen wird, muss sich trauen, die Bürger dabei mitzunehmen. Autor: Stefan Stark

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