Mittelbayerische Zeitung: Alles oder nichts
Regensburg (ots)
Von Stefan Stark
Deutschland droht das Schicksal eines mit Luft vollgepumpten Riesen, dem gerade der Stöpsel herausgezogen wird. Noch zählt die Bundesrepublik zwar zu den mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt. Noch kommen wir vergleichsweise gut durch die Schuldenkrise, die in anderen Ländern mit Massenarbeitslosigkeit und der Verarmung der halben Bevölkerung zuschlägt. Noch hat die Kanzlerin die gewichtigste Stimme in der EU, auch wenn sie vernehmbar leiser wird. Wir dürfen uns allerdings nicht vormachen, dass Deutschland noch lange eine Insel der Seligen bleibt. Wie sehr Anspruch und Wirklichkeit inzwischen auseinanderklaffen, führt die Euro-Rettungspolitik, die sich nur noch von Krisengipfel zu Krisengipfel robbt, schonungslos vor Augen. Der 28. Juni stellt dabei eine historische Zäsur dar. An diesem Tag wurde Angela Merkel von Italien und Spanien deutlich aufgezeigt, wie begrenzt der deutsche Einfluss auf Europa ist, wenn die Rückendeckung Frankreichs fehlt. Bei diesem Treffen stemmte sich die Kanzlerin vergeblich dagegen, dass die Weichen für eine Vergemeinschaftung der Schulden gestellt werden. Die Bundesregierung hatte nur noch Österreich und die Niederlande als Verbündete und musste sich diesmal dem Diktat der anderen beugen. Erstmals seit Ausbruch der Krise stand Deutschland isoliert da. Die Machtverhältnisse haben sich verschoben. Mitte der vergangenen Woche blickte die Republik noch gebannt nach Karlsruhe, wo über die Zukunft der Rettungsschirm-Politik entschieden wird. Seit Freitag richten sich alle Augen aber schon wieder nach Griechenland, Spanien und Italien. Die Regierung in Athen erfüllt die Sparauflagen nicht, Madrid und Rom geraten immer mehr in finanzielle Bedrängnis. Das zeigt: Die bisherigen Instrumente des Euro-Krisenmanagements funktionieren nicht. Wenn nun manche Politiker den Rauswurf Griechenlands fordern, wirkt das wie eine Reflexhandlung. Natürlich ist der Ärger über die neue Regierung in Athen verständlich. Doch die Hellenen sind inzwischen die kleinste Baustelle in der Schuldenkrise. Grund zur Sorge bieten viel mehr die großen Südländer. Wenn Spanien und Italien abstürzen, reißen sie Deutschland mit. Das wäre der Todesstoß für den Euro. Im Bundesfinanzministerium kursieren Szenarien, welche Folgen ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung hätte. Die Berechnungen gehen von einem Einbruch der deutschen Wirtschaftsleistung um zehn Prozent und dem Anstieg der Arbeitslosenzahl auf fünf Millionen aus. Sollten diese Prognosen nur annähernd zutreffen, wären die vielen Milliarden für die heutigen und vielleicht auch zukünftige Rettungsschirme eine gute Investition. Die Bundesregierung ist an einer wichtigen Weggabelung angekommen. So bitter die Erkenntnis für diejenigen sein mag, die irrtümlich glauben, Deutschland könne unbeschadet zur D-Mark zurückkehren: Zerbricht der Euro, dann zerbricht Europa. Mit dieser Warnung hat Merkel Recht. Der Euro wird jedoch dauerhaft nur überleben, wenn die starken für die schwachen Länder einstehen. Das bedeutet letztlich eine Haftungs- und Transferunion, die den größten Konstruktionsfehler der Währung beseitigen würde. Diese Union würde großes öffentliches Heulen und Zähneklappern erzeugen. Gleichzeitig würde sie aber die politische Integration vorantreiben, weil sie nur mit einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik funktioniert. In Brüssel liegen die Pläne dafür auf dem Tisch. Die Kanzlerin muss Farbe bekennen, welche Richtung ihr vorschwebt. Deutschland hat die Wahl. Es kann sich entscheiden für die Rückkehr zur nationalen Kleinstaaterei - schlimmstenfalls begleitet von politischem Extremismus - auf jeden Fall begleitet von schleichendem Bedeutungsverlust der Bundesrepublik. Oder es entscheidet sich für eine kühne Vision, die zu den Vereinigte Staaten von Europa führen könnte. Natürlich ist die Frage berechtigt, ob sich die Bürger für diese Idee begeistern lassen. Doch jeder große politische Wurf beginnt mit einer ehrlichen Diskussion.
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