Mittelbayerische Zeitung: Aussichtsloser Kampf Julia Timoschenko wurde Opfer skrupelloser Machtpolitik. Ein Symbol der Demokratie wird sie dadurch nicht. Leitartikel von Ulrich Heyden
Regensburg (ots)
Am 5. August sitzt Julia Timoschenko nun ein Jahr in Haft. Die ehemalige Ikone der Orangenen Revolution empfängt im Krankenhaus Politiker aus dem Ausland und kämpft trotz ihres Bandscheibenvorfalls verbissen gegen die ukrainische Willkür-Justiz. Nicht nur Beobachter aus dem Westen, auch große Teile der ukrainischen Bevölkerung halten die Strafverfahren gegen Timoschenko für politisch motiviert. Offenbar rächt sich der Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, an der Ikone der Orangenen Revolution, welche den Wahlfälscher Janukowitsch 2004 aus dem Amt jagte. Die juristische Verfolgung von Julia Timoschenko hat allerdings auch viel mit den Kämpfen verschiedener ukrainischer Oligarchen-Clans zu tun. Im Oktober 2011 wurde Timoschenko wegen eines für die Ukraine unvorteilhaften Gas-Vertrag zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Im April 2012 begann ein zweiter Prozess, wegen ihrer Tätigkeit als Chefin des Gas-Unternehmens Vereinigte Energie-Systeme in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. In dem Verfahren geht es um den Verdacht der Veruntreuung von 295 Millionen Euro. In einem Gespräch mit ausländischen Korrespondenten betonte Janukowitsch, gegen Timoschenko werde auch wegen des Mordes an dem Geschäftsmann Jewgeni Schtscherban ermittelt, der 1996 verübt wurde. Mit dieser öffentlichen Stellungnahme stellte der Präsident der Ukraine klar, dass er auch im zweiten Verfahren gegen Julia Timoschenko ein hartes Urteil erwartet. Nachdem sich die Führungsfiguren der Orangenen Revolution zerstritten hatten, wurde Janukowitsch 2010 zum Präsidenten der Ukraine gewählt. Der neue Präsident kopiert den Regierungs-Stil von Wladimir Putin, indem er sich als Garant sozialer Leistungen präsentiert. Doch durch die Erhöhung des Rentenalters für Frauen, die Erhöhung der Gaspreise für die Verbraucher und die Einschränkung der Pressefreiheit ist die Popularität von Janukowitsch gesunken. Dass beide Verfahren gegen die inhaftierte Timoschenko etwas mit dem Gas-Geschäft zu tun haben, ist kein Zufall. Der Kampf um den Markt für den Verkauf und die Weiterleitung von Gas war zwischen den Oligarchen-Clans in der Ukraine immer hart umkämpft. Mit dem Vertrag von 2009 schaltete Timoschenko den Zwischenhändler RosUkrEnergo des Oligarchen Dmitri Firtasch aus, der seinen Einfluss in der Regierung jetzt wieder ausbauen konnte. Kiew praktiziert eine Schaukelpolitik zwischen Brüssel und Moskau, verprellt zur Zeit allerdings beide Seiten. Die Europäische Union fordert Rechtsstaatlichkeit von der Ukraine - und Moskau will nicht zulassen, dass der Gas-Vertrag von 2009 im Nachhinein angezweifelt wird. Der Kreml sieht den Entwicklungen in der Ukraine scheinbar gelassen entgegen. Die Ostseepipeline lässt die Bedeutung der Ukraine als Transitland für russisches Gas nach Europa schrumpfen. Russland hofft, dass die ukrainische Regierung irgendwann der Zoll-Union mit Russland, Weißrussland und Kasachstan zustimmt, denn auf den östlichen Markt kann die Ukraine nicht verzichten. Die Lage von Julia Timoschenko scheint fast aussichtslos. Auf einem Kongress von mehreren Oppositionsparteien wurde sie jetzt als Spitzenkandidatin für die Parlamentswahlen im Oktober nominiert. Da jedoch Häftlinge nicht kandidieren dürfen, hat die Nominierung nur symbolischen Wert. Wenn es Präsident Janukowitsch nicht schafft, die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise abzudämpfen, hätte die ukrainische Opposition bei den Parlamentswahlen im Oktober Chancen. Für Julia Timoschenko gehen die Massen aber heute nicht mehr auf die Straße.
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