Mittelbayerische Zeitung: Energiewende rückwärts Immer mehr sehen in Naturstrom lediglich ein teures Vergnügen - das bedroht das Jahrhundertprojekt. Von Roman Hiendlmaier
Regensburg (ots)
Ein "Tauziehen" sei es gewesen, hieß es, die Formulierung der Abschlusserklärung nach der Ministerpräsidententagung am Freitag. Inhalt: Die Bundesländer wollen den Kapazitätsausbau bei der Energieerzeugung künftig besser untereinander abstimmen. Konkrete Pläne, verbindliche Ziele - Fehlanzeige. Antworten gibt's vielleicht beim nächsten "Energiegipfel" am 2. November. Die Bilanz des Ländertreffs passt ins traurige Bild, das die Energiewende in diesen Wochen abgibt. Als "dritte industrielle Revolution" nach Dampfmaschine und Automobil gestartet, ist von der historischen Chance auf eine Energiegewinnung im Einklang mit der Natur nur mehr wenig geblieben. Wer spricht noch von einer atomkraftfreien Zukunft, von Klima- und Naturschutz, von CO-Reduktion und dem Kyoto-Protokoll? Stattdessen haben es die Lobbyisten der Großindustrie und der Stromriesen geschafft, die Debatte auf den wundesten Punkt der Deutschen zu lenken: ihren Geldbeutel. Tatsächlich macht der Blick auf seine Stromrechnung selbst den hartgesottensten Alternativen mürbe. Rund 25 Cent sind aktuell für eine Kilowattstunde Strom fällig - seit Beginn der Liberalisierung zur Jahrtausendwende haben sich damit die Kosten für Privathaushalte nahezu verdoppelt. In abgeschwächter Form gilt das übrigens auch für kleine und mittlere Unternehmen. Während die Politik drinnen über Preise, Pläne und Pfründe streitet, geht draußen der Nervenkrieg weiter. Das Internetvergleichsportal Verivox hat am Freitag vorgerechnet, was im kommenden Jahr noch alles auf die Stromrechnung draufgesattelt wird: Höhere EEG-Umlage und Netzentgelte, die neue Offshore-Haftungsumlage und natürlich die Umlage für die Befreiung stromintensiver Betriebe von den Netzentgelten - summa summarum rund 130 Euro zusätzlich für jeden Familienhaushalt. Bei derartigen Preisanstiegen geraten nicht nur sparsame Schwaben in Rage. EU-Kommissar Günter Oettinger - sicher kein überzeugter Öko-Fundi - warnte diese Woche eindringlich, "die Strompreise bezahlbar zu halten, sonst sei auch die soziale Gerechtigkeit in Gefahr". Das Bittere ist, dass Oettinger mit dem Wörtchen "auch" die Zukunft der Energiewende an sich gemeint haben könnte. Denn tatsächlich werden wir an zusätzlichen Kosten für Netzausbau, Speichertechnologien und neue (Öko-) Kraftwerke nicht herumkommen. Doch in absehbarer Zeit wird auch hier eine Wende eintreten. Wenn in ein paar Jahren die Netze modernisiert, die Energieausbeute gesteigert und die Effizienz erhöht ist, werden die Kosten dafür sinken. Wenn andere Länder über die Endlichkeit fossiler Brennstoffe und die Entsorgungskosten für die Endlagerung atomaren Abfall streiten, wird es sich auszahlen, dass Wind und Sonne uns zwar mehr Energie liefern als wir verbrauchen können, aber keine Rechnung schicken. Eine schöne Perspektive eigentlich, ein wertvolles Geschenk, das wir unseren Kindern hinterlassen könnten - vielleicht sogar verbunden mit einer visionären Geschäftsidee: die energetische Verbindung von Ökologie und Ökonomie hinaus in die Welt zu tragen. In der aktuellen Diskussion gilt jedoch das Wort von Ex-Kanzler Helmut Schmidt, der Visionären den Arztbesuch nahelegte. Die Deutschen haben zunehmend die Nase voll von der Energiewende, die immer schneller ihre Geldbörsen leert. Eine Deutschlandtrend-Umfrage am Freitag ergab, dass nur mehr jeder Zweite gewillt ist, für saubere Energie noch tiefer in die Tasche zu greifen. Diese Umfrage gehört als Tischvorlage den Teilnehmern nächste Woche am Energiegipfel - dem dritten heuer - auf den Platz gelegt. Denn die Gefahr ist groß, dass im Fall eines Scheiterns die Zustimmung weiter sinken und das Risiko einer Energiewende rückwärts dafür weiter steigen wird.
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