Mittelbayerische Zeitung: Zurück in die Zukunft: Peer Steinbrück muss nun ein linkes Programm vertreten. Das wird ein Problem für ihn und die Partei. Von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Vielleicht haben Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück ein wenig zusammen ferngesehen und sind beim Rumzappen auf den Klassiker "Zurück in die Zukunft" mit Michael J. Fox gestoßen. Vielleicht. Denn wie im Film, so versuchen die beiden SPD-Spitzen nun auch die Zukunft ihrer Partei dadurch zu ändern, dass sie die Fehler der Vergangenheit auszumerzen versuchen. Wie im Film gilt allerdings: Das ist ein gefährliches Unterfangen. Die Agenda 2010, die vor zehn Jahren vom damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündet wurde, ist bis heute das Trauma der Sozialdemokraten. Sie können sich auf die Fahnen schreiben, mit dem Reformpaket aus dem "kranken Mann Europas", wie Deutschland damals genannt wurde, einen modernen Staat gemacht und die Grundlagen dafür geschaffen zu haben, dass die Bundesrepublik heute wirtschaftlich so gut da steht, wie sie es tut. Allerdings hat die Agenda auch dazu geführt, dass bei großen Teilen der Partei und der klassisch-sozialdemokratischen Wähler ein Entfremdungsprozess eingesetzt hat. Dessen deutlichstes Zeichen war die Geburt der Linkspartei, deren Stern im Westen mittlerweile am Sinken ist. Vielleicht ist es dieser Umstand, der nun ermöglicht, was lange Zeit tabu war: Die SPD hat Positionen der Linken in vielen Fällen übernommen. Bis heute spalten sich die Sozialdemokraten in die Befürworter oder Gegner der Agenda; somit ist der Linksruck, den das Wahlprogramm darstellt, eine Richtungsentscheidung. Die ist von der politischen Analyse her völlig korrekt. Derzeit ist das politische Gesamtklangbild monton-mittenlastig. Wer in dem Gebrummel gehört werden will, sollte sich ein paar Obertöne zulegen. Da Angela Merkel selbst ihre CDU sozialdemokratisiert hat, muss die SPD noch ein wenig lauter aufdrehen. Und das tut sie auch: Gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro, gleiches Geld für Leiharbeiter und Festangestellte, wenn sie die gleiche Arbeit verrichten, Solidarrenten, Anhebung des Spitzensteuersatzes, Wiedereinführung der Vermögenssteuer - das alles ist klassische sozialdemokratische Politik und klar erkennbar noch dazu. Fehlt nur noch der richtige Spitzenkandidat. Eigentlich lautete die Strategie der Partei: Erst das Programm, dann der Kandidat. Hat bekanntlich nur nicht geklappt. Peer Steinbrück ist ein Agenda-Freund, der noch 2006 davon sprach, dass mit Hartz IV kein Sozialabbau einhergegangen sei, sondern ein Sozialaufbau. Das wird er heute nicht mehr sagen; denken wahrscheinlich schon. Eben deswegen ist sein Beraterstab kürzlich erst Generalsekretärin Andrea Nahles unterstellt worden. Weitere Patzer darf es für eine Partei, deren einzige Chance ein Lagerwahlkampf ist, nicht geben. Egal, wie sehr die SPD nun betont, das Wahlprogramm sei ein Gemeinschaftsprodukt von Partei und Kandidat: So recht glauben mag das niemand. Der politische Gegner schon gar nicht. In der CSU werden bereits die Messer gewetzt, um der SPD Unglaubwürdigkeit und Sprunghaftigkeit zu unterstellen. Im Hause des Spontanpolitikers Horst Seehofer sollte man mit derlei Vorwürfen zwar vorsichtig sein, aber in der Sache ist die Kritik nicht unberechtigt. Steinbrück war und ist ein Mann der SPD-Vergangenheit. Die Zeitreise, mit der seine Partei versucht, die Zukunft zu verändern, wird für ihn zum Problem werden - und für alle, die den konservativen Sozialdemokraten Peer Steinbrück wählen wollten. Zwar wird er seine Beinfreiheit nicht mehr dafür missbrauchen können, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu tappen oder sich selbst ein Bein zu stellen; das liegt aber daran, dass er schlicht keine Beinfreiheit mehr hat.
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