Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum NSU-Prozess: "Verkorkst"
Regensburg (ots)
Was für ein Desaster - und zwar in erster Linie für die Angehörigen der Opfer des NSU-Terrors. Sie hatten ihre Kräfte für den Prozessbeginn in dieser Woche gesammelt. Sie hatten sich Zeit genommen, um dabei zu sein und den Tätern ins Gesicht zu sehen. Nun kommt alles wieder anders. Bei den Familien verstärkt sich das Gefühl, dass keiner auf sie Rücksicht nimmt. Ein Gefühl, das sie durch jahrelange fehlgeleitete Ermittlungen mit falschen Verdächtigungen gegen die Opferfamilien nur zu gut kennen. An der neuen Ausschreibung der Akkreditierung für Journalisten führte allerdings kein Weg vorbei. Sie ist unter den nur noch schlechten Möglichkeiten, das Problem zu lösen, die gerechteste. Mindestens drei türkische Journalisten müssen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in den Pressepool aufrücken und damit zwangsläufig andere Akkreditierte weichen. Wie hätte sonst entschieden werden sollen, wer außen vor bleibt? Doch auch die neue Lösung produziert Unzufriedenheiten. Vom Gericht war erst einmal nicht zu erfahren, wie die Prozedur ablaufen soll. Man soll die Homepage der Justiz im Blick behalten und seine Mails sichten. Im Klartext: Wer Glück hat, bekommt es schnell mit. Wer Pech hat eben nicht. Es ist die nächste Merkwürdigkeit eines von Anfang an verkorksten Akkreditierungsverfahrens, das nicht mehr in die richtige Spur findet. Das Oberlandesgericht, das nur nach Recht und Gesetz handeln will, führt die eigenen Maßstäbe durch Ungeschick ad absurdum. Es zeigt sich blind dafür, dass Deutschland bei einem der wichtigsten Nachkriegsprozesse unter internationaler Beobachtung steht. Autorin: Christine Schröpf
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