Mittelbayerische Zeitung: Jeder für sich Die EU steckt tief in der Krise. Die Tendenzen zur Renationalisierung sind so stark wie noch nie. Von Hanna Vauchelle
Regensburg (ots)
Ein Kommissar pro Land - an dieser Formel wollen die Mitgliedsstaaten der EU auch nach 2014 festhalten. Dass dadurch die Behörde weiter aufgebläht wird und enorme Zusatzkosten entstehen, wäre im Grunde genommen zu verschmerzen. Allein das Bild, das die EU dabei abgibt, tut weh. Zeigt es doch nichts anderes als den unnachgiebigen Machtwillen der Mitgliedsstaaten, die nicht dazu bereit sind, auf ihre Möglichkeiten der Einflussnahme zu verzichten. Gute drei Jahre nach Inkrafttreten des Lissabonvertrags sind die Tendenzen zur Renationalisierung so spürbar wie nie zuvor. Die EU steckt tief in der Krise. Die südlichen Länder sind hoch verschuldet und pochen auf Wachstumshilfen, der Norden fordert hingegen gewaltige Sparanstrengungen. Währenddessen driften beiden Blöcke immer weiter auseinander. Über diesen ideologischen Streit ist auch der deutsch-französische Motor ins Stocken geraten. Anstatt den Schutz der Gemeinschaft EU wertzuschätzen, besinnen sich in dieser Krise die meisten Länder auf sich selbst. Kompetenzen an die EU abgeben? Nein danke, so tönt es auch den Hauptstädten. Den jüngsten Beweis dafür erhält die Öffentlichkeit beim heutigen EU-Gipfel. So darf erwartet werden, dass die Mitgliedsstaaten in Sachen Steuergerechtigkeit weiterhin ihr eigenes Süppchen kochen werden. Luxemburg und Österreich tun sich schwer, teuer gewordene Pfründe abzugeben. Um die Erhaltung der eigenen Macht und Einflussnahme geht es auch bei der Übereinkunft der Länder, künftig weiterhin einen eigenen Kommissar nach Brüssel zu entsenden. Dafür wird ein Paragraf des Lissabonvertrags einfach ausgehebelt. Ein Schritt mit folgenschwerer Symbolkraft: Denn eigentlich hätte gerade dieser Reformvertrag dazu beitragen sollen, die EU effizienter, entscheidungs- stärker und bürgernäher zu machen. Aber mit einer auch künftig derart aufgeblähten EU-Kommission ist dieses Ziel in weite Ferne gerückt. Schon jetzt kommen sich die einzelnen Kommissare mit ihren Ressorts ins Gehege. Und aufgrund der stets wachsenden Anzahl der Kommissionsmitglieder werden die Zuständigkeiten immer absurder. So gibt es etwa eine Kommissarin für Kultur und Bildung, doch hierbei hat Europa so gut wie keine Kompetenzen. Auch der Sozialkommissar ist streng genommen überflüssig. In den Bereichen Soziales und Arbeit lassen sich die Mitgliedsstaaten nichts aus Brüssel vorschreiben. Hier werden viele Papierberge und Vorschläge produziert, die letztendlich niemanden interessieren. Effizienz sieht anders aus. Dabei könnte hierüber die so oft beklagte mangelnde Bürgernähe der EU hergestellt werden. Aber indem sich die Staats- und Regierungschefs den Lissabonvertrag so zurechtlegen, wie es ihnen gefällt, wird diese Chance verpasst. Dabei sollte der Vertrag auch den nötigen Schritt darstellen, um eine Vertiefung der EU zu erreichen. Doch heute, über drei Jahre nach Inkrafttreten des Textes, ist davon nicht allzu viel übrig geblieben. Erneut hat die Eurokrise dazu beigetragen, die noch bestehenden Defizite einer politischen Einigung überdeutlich herauszukehren. Die Staaten sind mehr denn je auf sich selbst bedacht. Trotz dieser ernüchternden Bilanz, gibt es noch Hoffnung. Zumindest den Kommissionspräsidenten können die Europäer im Mai nächstes Jahr vermutlich selbst wählen. Damit würde nach einer langen Durststrecke endlich so etwas wie Bürgernähe in der Europapolitik Einzug halten. Dies wäre auch ganz im Sinne des Lissabonvertrages. Die Hauptstädte sollten sich bei dieser Angelegenheit unbedingt zurückhalten.
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