Mittelbayerische Zeitung: Unfreiheit, Ungleichheit, Unbrüderlichkeit - Frankreich ist wegen der Homo-Ehe gespalten. Die Republik bekommt die Grenzen des Laizismus zu spüren. Von Christine Strasser
Regensburg (ots)
Die Bürgermeisterin mit blau-weiß-roter Schärpe, das Bekenntnis zur Treue "in guten wie in schlechten Zeiten", Musik und ein Kuss: Als sich vergangene Woche in Frankreich das erste homosexuelle Paar das Jawort gab, war es eine Feier ganz nach Regeln und Ritus der V. Republik. Dennoch kommt diese Eheschließung im Land von Freiheit, Einheit und Brüderlichkeit einer kleinen Revolution gleich. Selten ist in Frankreich über ein Thema so erbittert gestritten worden wie über das Gesetz zur Homo-Ehe. 136 Stunden und 46 Minuten dauerte die Debatte in der Nationalversammlung. Bis zu einer halben Million Demonstranten nahmen an manchen Wochenenden an den Kundgebungen teil. Konservative marschieren in seltener Eintracht neben rechtsextremen Politikern. Auch nach der Verabschiedung des Gesetzes tobt ein Kulturkampf. Er zeigt ein Gesicht, das man so von Frankreich nicht erwartet hätte: erzkatholisch, antimodern, rückwärtsgewandt und homophob. Dabei hat Präsident François Hollande doch nur eines getan: Er hat eines seiner 60 Wahlversprechen gehalten. Auf der Liste dieser Versprechen stand es auf Platz 31. Kein überraschender politischer Schachzug also. Zumal es in Frankreich schon seit 1999 die eingetragene Lebenspartnerschaft gibt. Dieser Pacs (Pacte civil de solidarité) ist ein in der Regel vom Amtsgericht vollzogener Verwaltungsakt, der mit einer Frist von drei Monaten von einer Seite aufgelöst werden kann. Weil er in Geldangelegenheiten weitgehend der Ehe angeglichen ist, ist der Pacs auch bei Heterosexuellen sehr beliebt. Mehr als 90 Prozent der "gepacsten" Paare sind heterosexuell. Auf zwei Hochzeiten kommt ein Solidarpakt. Die Institution Ehe hat an Attraktivität eingebüßt - unabhängig von der Homo-Ehe. Als Hollande Präsident wurde, sprachen sich 65 Prozent der Franzosen in Umfragen für eine Homo-Ehe aus. Nun richtet sich der erbittertste Widerstand der Gegner der "Ehe für alle" dagegen, dass homosexuellen Paaren erlaubt wird, Kinder zu adoptieren. Doch auch das war eigentlich schon längst möglich - seit Einführung der Pacs. Vor dem Gesetz fungiert allerdings nur ein Partner als Elternteil. Der andere hat keine Rechte. Das ändert sich mit dem neuen Gesetz. Die Franzosen hätten andere Probleme. Zuforderst die hohe Arbeitslosigkeit. Seit 24 Monaten steigt sie. Ein Ende ist nicht absehbar. Doch anstatt gegen den Abbau von Arbeitsplätzen auf die Straße zu gehen, protestieren die Franzosen gegen ein Gesetz, dass lesbischen und schwulen Paaren zusätzliche Rechte gewährt, ohne traditionellen Ehen etwas wegzunehmen. Die klassische Familie hat an Bedeutung verloren. Die Hoffnung auf Stabilität setzen viele Franzosen aber noch immer in diese kleine Einheit. Die Homosexuellen werden zum Sündenbock dafür gemacht, dass sich ein Anker der Gesellschaft gelöst hat. Der UMP-Abgeordnete Bruno Le Maire bringt diese Sichtweise wie folgt auf den Punkt: "Angesichts der Krise und mangels eines kollektiven Schicksals klammern sich viele Menschen an der Ehe fest, die als Element der Identität wahrgenommen wird, sowie an der Familie, die als schützende Zelle erlebt wird. Sie empfinden die Heirat von Homosexuellen als Bedrohung dieser letzten Bezugspunkte. Bei den Katholiken ist die Empörung noch größer, denn sie sehen darin einen echten Angriff auf ihre Werte." Dabei ist Frankreich ein laizistisches Land, in dem Staat und Kirche, privates und öffentliches Leben zwei strikt getrennte Sphären sind. Jetzt bekommt es die Grenzen dieses Laizismus zu spüren.
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