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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Thema: Noch 100 Tage bis zur Bundestagswahl

Regensburg (ots)

Tränen gestern bei der SPD, die sich mit dem Mute der Verzweiflung gegen eine Wahlniederlage, miserable Umfragewerte, interne Reibereien und böse Presse stemmt. Eine Linke, die mit einem Freibier-für-alle-Programm erstaunlich geschlossen auf Stimmenfang zieht. Sowie fast schon beängstigend stabile Grüne. Das ist die Ausgangslage für die heiße Phase des Wahlkampfs. Knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl versucht die Opposition jetzt gewissermaßen einen Neustart, um der schier übermächtigen Kanzlerin und ihrer Union vielleicht doch noch Paroli bieten zu können. Die Erfolgsaussichten für den verzweifelten Aufholkampf von SPD, Grünen und Linken indes sind nicht rosig. Die Sozialdemokraten und ihr bislang glückloser Kanzlerkandidat Peer Steinbrück haben es auf dem sonntäglichen Konvent in Berlin zum ersten Mal menscheln lassen. Dass dem Kandidaten bei den Worten seiner Frau die Tränen kamen, war allerdings nicht inszeniert und nicht gespielt. Steinbrück, den viele Medien gern als kaltes, bisweilen arrogantes Nordlicht mit Raffke-Mentalität darstellen, hat auch eine weiche Seite. Der Mann reibt sich an einer Aufgabe auf, die weder Parteichef Sigmar Gabriel noch der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier übernehmen wollten. Steinbrück hat den Kandidatenjob offenbar mehr aus Pflichtgefühl angetreten und weniger, um das eigene Ego zu bedienen. Schmähungen in der Presse setzen Steinbrück mehr zu, als er zugeben mag. Freilich gilt auch: Niemand wird aus purem Mitgefühl zum Kanzler gewählt. Wenngleich ein etwas fairerer Umgang mit allen Kandidaten nicht schaden kann. Das gilt für die Medien genauso wie für die politische Konkurrenz. Bei den Grünen liegen die Dinge etwas anders. Sie haben sich nach der Urwahl ihrer Spitzenkandidaten, der ostdeusch-bürgerbewegt-protestantischen Kathrin Göring-Eckardt und des Haudrauf-Politikers Jürgen Trittin, nahezu unbemerkt stabilisiert. Sie geben sich als aufgeklärte bürgerliche Kraft, die den Liberalen den Ruf als Rechtstaatspartei streitig machen möchte. Die linken Sponti-Jahre haben sie längst abgelegt. Freilich bekennen sich die Grünen zu einem rot-grünen Regierungs- und Politikwechsel. Doch wegen der Schwäche der SPD könnte das ein Traum bleiben. Anders als 1998, als es eine Bewegung gegen Langzeit-Kanzler Helmut Kohl gab, existiert 2013 keine Contra-Merkel-Wechselstimmung. Wieder anders die Lage bei der dritten Oppositionskraft im Bundestag, den Linken. Die einstige Gysi-Lafontaine-Partei hat am Wochenende in Dresden erstaunlich diszipliniert ihr Wahlprogramm verabschiedet. Nach dem "Gewitterparteitag" von Göttingen vor Jahresfrist, wo das Auseinanderbrechen drohte, haben sich die linken Genossen nun offenbar zum gegenseitigen Still- und Aushalten verpflichtet. Einig ist man sich bei ganz Links auch darin, beim populistischen Wettbewerb ganz vorn zu marschieren nach dem Motto: Wer bietet mehr Soziales? Dicht gefolgt übrigens von SPD, Grünen und Union. Im Unterschied zur politischen Konkurrenz allerdings ist die Linke gar nicht scharf darauf, ihr Freibier-für-alle-Programm dem harten Praxistest in einer Regierungskoalition zu unterziehen. Die Linke ist sich in der Opposition selbst genug. Die anderen wollen an die Macht.

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