Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Lage in Ägypten: "Unterdrückte Unterdrücker" von Maria Gruber
Regensburg (ots)
Auf Gewalt folgt Gegengewalt. Das ist derzeit das einzig bekannte Interaktionsmuster der jeweils herrschenden Eliten Ägyptens. Einmal an der Macht, unterdrücken die Herrschenden die Andersdenkenden. Ein Ausgleich der Interessen durch Einbindung der Opposition - das war Langzeitherrscher Husni Mubarak fremd und gelingt auch seit dessen Sturz nicht. Daher ist die Forderung von Angela Merkel und François Hollande, die Ägypten aufrufen, auf den Weg der Demokratie zurückzukehren, wohlfeil. Demokratie, wie sie sich ein Europäer gemeinhin vorstellt, hat in dem Land am Nil nie geherrscht - denn Wahlen sind dafür nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Wenn überhaupt, war die Demokratie nach dem Sturz Mubaraks gerade dabei, sich vorsichtig zu entwickeln - bis der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, damit begann, seine Legitimität Stück für Stück zu verspielen. Entgegen aller Ankündigungen - er wollte ein Präsident aller Ägypter sein - vermochte er nicht, alle gesellschaftlichen Gruppen, geschweige denn seine Gegner einzubinden. Diese machen - gemessen an Mursis Wahlergebnis von 52 Prozent - fast die Hälfte der Ägypter aus. Doch Mursi monopolisierte die Macht und drängte Minderheiten an den Rand - Oppositionelle, die wohlgemerkt auch nicht in der Lage waren, eine im politischen Betrieb handlungsfähigen Kraft zu bilden. Den Unterdrückten, die sich um die Früchte der Revolution betrogen sahen, blieb allein der Gang auf die Straße, mit bekanntem Ergebnis: Am 3. Juli wird Staatschef Mursi nach Ablauf eines Ultimatums abgesetzt. Dem tief in der Gesellschaft verankerten Militär kam von Beginn des Umbruchs in Ägypten an eine Schlüsselrolle zu. Zwar jeglicher zivilen Kontrolle entzogen, wirkte die Armee dennoch im Umsturz befriedend und führte Ägypten als Interimsregent nach dem Fall Mubaraks auf den Pfad demokratischer Wahlen. Das Militär war es auch, das ein Jahr nach der Wahl Mursis Sturz beförderte, indem es sich auf die Seite der Oppositionellen stellte. Es schien, als sei das Militär eine Art Motor auf dem Weg zum Ausgleich der Interessen, auf dem Weg zur Demokratie. Mit der gewaltsamen Räumung der Protestcamps der Muslimbrüder begingen die Sicherheitskräfte jedoch den entscheidenden Fehler. Eine Überreaktion, die die Unterdrücker nun selbst zu Unterdrückten werden ließ und eine Spirale der Gewalt anstieß, die nun kaum mehr zu stoppen ist. Ägypten gerät außer Kontrolle. Als die Ägypter im Januar 2011 zu Zehntausenden auf die Straße gingen, forderten sie "Brot, Freiheit und Würde". Zur wirtschaftlichen und sozialen Perspektivlosigkeit kommt nun die Angst vor nicht abreißender Gewalt. Die Welt starrt entsetzt auf ein Land, in das nach dem Arabischen Frühling viele Hoffnungen gesetzt wurden - das jetzt aber auf dem besten Weg in den Bürgerkrieg ist. Wenn Staaten von außerhalb eine Chance haben wollen, einzuwirken, müssen sie schnell handeln und kluge politische, soziale und wirtschaftliche Lösungen erarbeiten, die für Deeskalation sorgen. Und dafür, dass die Menschen in Ägypten wieder eine Perspektive haben. Hilfszusagen für ein Land zu kürzen, das sich am wirtschaftlichen Abgrund bewegt, kann nicht der Weg sein, ebenso wenig, die Beziehungen zu den Machthaber zu kappen. Viel Zeit bleibt den Diplomaten der Europäischen Union und der USA nicht mehr. Eines muss klar sein: Ein außenpolitisches Zaudern wie im Falle Syriens darf sich nicht wiederholen.
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